verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12 | |
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Passionen ist nur eine inhaltliche, die Form ist dieselbe. Was aber die neuere (protestantische) P. von den ältern biblischen Oratorien unterscheidet, ist die Einführung des subjektiven Elements, der frommen Betrachtung in dieselbe; den Anfang machte wohl Bartholomäus Gese, der die P. durch einen Chor: „Erhebet eure Herzen etc.“, eröffnete und mit einem Dankchor: „Dank sei dem Herrn etc.“, schloß. Diese Neuerung übernahm hierauf Schütz in seinem Osteroratorium und führte noch einige kleine neue Momente hinzu (das Victoria! des Evangelisten, den sechsstimmigen Chor der Jünger inmitten des Werkes etc). Johann Sebastiani, der gewöhnlich als der Schöpfer der neuen P. genannt wird, nahm Choräle in dieselbe auf, deren Melodien von der Gemeinde „zur Erweckung mehrerer Devotion“ gesungen wurden, während die Harmonien von Instrumenten aufgeführt wurden. Die Vollendung der Form erfolgte endlich durch Seb. Bach mit Einfügung der kontemplativen Arien und Chöre (der sogen. Zionsgemeinde). Bei Bach besteht die P. aus Chören, Recitativen, Arien und Instrumentalbegleitung, und die handelnden Personen sind: der Evangelist, welcher die Erzählung recitiert; Christus, seine Jünger, Pilatus etc., welche als selbstredend eingeführt werden; die jüdischen Volkshaufen (turbae), welche mit kurzen Chören in die Handlung eingreifen; eine ideale christliche Gemeinde, welche ähnlich dem Chor in der griechischen Tragödie den Hergang mit ihren Betrachtungen begleitet; endlich die reale kirchliche Gemeinde, welche an geeigneten Stellen durch Choräle die Handlung unterbricht.
Passionssäulen (Martersäulen), Nachbildungen der Säule, an welcher Christus gegeißelt wurde (z. B. im Dom zu Braunschweig). Am Schafte derselben sind die Marterwerkzeuge angebracht, und auf der Spitze sitzt gewöhnlich der Hahn des Petrus.
Passionsspiele, eine unter den dramatischen Aufführungen des Mittelalters besonders häufig vertretene Art der „geistlichen Spiele“, welche ursprünglich wohl überall am Karfreitag aufgeführt wurden und sich aus der Karfreitagsfeier selbst und aus den mimischen Darstellungen, die bei derselben in vielen Kirchen stattfanden, entwickelt hatten. Sämtliche P. haben das Leiden und den Tod des Erlösers zur Haupthandlung, und schon hieraus und aus dem engen Anschluß an die Erzählung der Evangelien ging ein im ganzen wesentlich epischer Charakter der Spiele hervor. Derselbe wurde dadurch verstärkt, daß der eigentlichen Darstellung der Passion meist die Vorführung andrer Episoden der heiligen Geschichte voranging (man begann gelegentlich mit der Schöpfung) und sich die Osterspiele, welche die Szenen der Auferstehung zur Darstellung brachten, naturgemäß an die Kreuzigung und Grablegung Christi anreihten (weshalb die Passions- und Osterspiele meistenteils zusammen und oft an mehreren aufeinander folgenden Tagen aufgeführt wurden). Wie weit die Aufführung eigentlicher P. zurückreicht, ist nicht genau festzustellen; die Aufzeichnung auch nur der Szenarien und der in die Spiele verwobenen Gesänge erfolgte erst, als dieselben längst eingebürgert waren. In Frankreich führten sie den Namen Mysterien (s. d.), der auch, nach Deutschland übergehend, wesentlich nur den Spielen zugeteilt wurde, welche die Leidens- und Auferstehungsgeschichte des Heilands zum Gegenstand hatten, während die dramatische Vorführung von Legendenstoffen mit dem Namen Mirakel belegt wurde. In deutschen Handschriften des 13. Jahrh. sind zwei P. bruchstückweise erhalten, von denen das erste, mit wesentlich lateinischem Text („Ludus paschalis sive de passione Domini“, hrsg. von Hoffmann in „Fundgruben“, Bd. 2, S. 245 ff., und von Schmeller in den „Carmina burana“), einzelne deutsche Strophen enthält, während das andre, von einem höfisch gebildeten Dichter herstammend, ganz in deutscher Sprache und in den Kunstformen des 13. Jahrh. gehalten ist (vgl. Bartsch, Das älteste deutsche Passionsspiel; in „Germania“, Bd. 8, S. 273 ff.). Zu den spätern Niederschriften, die aber meist auf ältern Ursprung zurückweisen, gehören: das „Frankfurter Passionsspiel“ (von dem ein Szenarium in einer alten Pergamentrolle der Bartholomäistiftsschule zu Frankfurt a. M. erhalten blieb), das „Alsfelder Passionsspiel“ (hrsg. von Grein, Kass. 1874), das „Heidelberger Passionsspiel“ (hrsg. von Milchsack, Tübing. 1880), das „Donaueschinger Passionsspiel“ (gedruckt in Mones „Schauspielen des Mittelalters“, Karlsr. 1846), das „Freiburger Passionsspiel“ (hrsg. von Martin, Freiburg 1872), die niederdeutsche „Marienklage“ (hrsg. von O. Schönemann, Hannov. 1855) und das „Redentiner Osterspiel“ (hrsg. von Ettmüller, Quedlinb. 1851) u. a. Sie alle legen Zeugnis für die typische Gleichartigkeit und Ähnlichkeit der P. ab. Sie sind sämtlich melodramatisch behandelt; die Reden wechseln mit gesungenen Stellen (in denen sich die lateinischen Kirchenhymnen am längsten innerhalb des Rahmens der P. erhielten) und nehmen in den Gang der Handlung possenhafte und komische Episoden auf, zu denen das Leben der Maria Magdalena vor ihrer Bekehrung, die Höllenfahrt Christi, der Einkauf der Salben und Spezereien durch die drei Marien vor dem Besuch des Heiligen Grabes die szenischen Anlässe bilden. Nach der Reformation warfen sich die protestantischen Dramendichter überwiegend auf biblische Stoffe des Alten Testaments, die sich in moralisierendem Sinn behandeln ließen, und bildeten die P. zu Moralitäten (s. d.) aus. In den katholisch bleibenden Teilen Deutschlands, namentlich in den Bayrischen, Tiroler und Salzburger Alpen, bestanden dieselben jedoch fort, teils in der vollen mittelalterlichen Naivität, teils in einer tendenziösen Umarbeitung und Zurichtung, welche besonders die Jesuiten und die von ihnen gebildeten Geistlichen vornahmen. Diejenigen der ältern Spiele, welche sich bis ins 18. Jahrh. hinein behauptet hatten, fielen der überall eindringenden Aufklärung allmählich zum Opfer. Unter Karl Theodor und König Max Joseph I. wurden selbst in Bayern die Passionsaufführungen untersagt und eine Ausnahme nur mit dem
gemacht, welches in neuester Zeit die Blicke der ganzen gebildeten Welt auf sich gezogen hat. Die Gemeinde von Oberammergau hatte bei einer 1633 ihr Dorf heimsuchenden Seuche das Gelübde gethan, nach dem Erlöschen der Krankheit das Leiden und Sterben des Erlösers dramatisch aufzuführen. Mit den anderwärts noch fortdauernden mittelalterlichen Passionsspielen stand die neue in Oberammergau entstehende (und periodisch, zuletzt von zehn zu zehn Jahren wiederholte) Aufführung insofern in Bezug, als die Bauern und Bildschnitzer, die das Gelübde geleistet hatten, auf alle Fälle ihr Spiel den vorhandenen ähnlichen Aufführungen anzunähern wünschten. Das ursprüngliche Gedicht, dessen sich die Oberammergauer bedienten, und von dem eine alte Handschrift von 1662 erhalten blieb (hrsg. von Hartmann, Leipz. 1880), erweist sich in der That als Verschmelzung eines alten geistlichen Schauspiels aus dem
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0763.jpg&oldid=- (Version vom 16.10.2024)