verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13 | |
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Reichs seine Gesetzsammlung außer den Novellen, und dieselbe kam dort, wie der sogen. „Brachylogus“ und einige andre Schriften aus dem 9., 10. und 11. Jahrh. zeigen, nie ganz in Vergessenheit. Vgl. Fitting, Juristische Schriften des frühern Mittelalters (Halle 1876). Gewissermaßen eine Neubelebung erfuhr aber das römische Recht, als dasselbe seit dem 12. Jahrh., nachdem man vollständige Handschriften des „Corpus juris“ wieder aufgefunden, auf der Rechtsschule zu Bologna von Irnerius und seinen Schülern, den sogen. Glossatoren, zum Gegenstand ihrer Vorlesungen gemacht wurde (s. Glosse). Vgl. Fitting, Die Anfänge der Rechtsschule zu Bologna (Berl. 1888). Die Glossatoren beschränkten sich zwar auf eine fortlaufende Erklärung (Glosse) des Textes des „Corpus juris“; allein ihre Thätigkeit ermöglichte es erst, über den ausgedehnten Stoff Übersicht und Herrschaft zu gewinnen, und ihre Erklärungen, welche Accursius in der sogen. „Glossa ordinaria“ zusammenstellte, sind noch jetzt von wissenschaftlichem und praktischem Wert.
Als das wissenschaftlich ausgebildete Recht eines hochgebildeten Volkes kam das römische Recht den Anforderungen entgegen, welche von der gestiegenen Kultur, dem entwickeltern Verkehr und von der neuerwachten wissenschaftlichen Regung an das Recht gestellt wurden, von den national-germanischen Rechten aber, unausgebildet wie sie waren, nicht befriedigt werden konnten. Aus allen gesitteten Ländern Europas strömten daher zahlreiche Schüler zu den berühmten italienischen Rechtslehrern und brachten die dort erlangte Rechtskenntnis zurück in ihre Heimat. Wie dem Mittelalter die Lehren des Aristoteles für untrüglich galten, und wie man die römische und griechische Kunst u. Litteratur als mustergültig, „klassisch“, ansah, so erschien das römische Recht als das schlechthin vernünftige Recht, als „geschriebene Vernunft“ (raison écrite) und erlangte deshalb wenn nicht gesetzliche Kraft, doch verbreitete Anwendung; dies wurde noch dadurch befördert, daß die Geistlichkeit überall nach römischem Recht lebte und dasselbe in ihren damals mit so ausgedehnter Zuständigkeit ausgestatteten Gerichten mit denjenigen Modifikationen zur Anwendung brachte, welche das kanonische Recht teils aus kirchlichen Rücksichten, teils um den Bedürfnissen der Zeit Rechnung zu tragen, vorgenommen hatte. An der Bearbeitung des römischen Rechts haben daher, außer England und Skandinavien, wo es am wenigsten Fuß faßte, alle europäischen Kulturvölker der Reihe nach einen hervorragenden Anteil genommen. Die Postglossatoren (Odofredus, Bartolus, gest. 1357, Baldus, gest. 1400, u. a.), welche in weitschweifigen Kommentaren die Scholastik auch in der Jurisprudenz zur Geltung brachten, durch Modernisierung aber und Einflechtung des neuen Gewohnheitsrechts die Anwendbarkeit des römischen Rechts beförderten, gehören meist noch Italien an. Die französische Schule, in welcher Cujacius als scharfsinniger Exeget, Donellus (gest. 1591) als Systematiker hervorragen, suchte, unterstützt von den fortgeschrittenen humanistischen Studien und durch neu aufgefundene Quellen des ältern römischen wie des byzantinischen Rechts, mit Glück das römische Recht frei von neuerer Zuthat zu erfassen, in seinen Geist einzudringen und es zu rekonstruieren. Der französischen Schule folgte, im ganzen die gleiche Bahn, jedoch mit geringerm Erfolg einschlagend und sich mehr ans einzelne haltend, im 17. und 18. Jahrh. die holländische Schule (Hugo Grotius, Schulting u. a.), welcher die gleichzeitigen Spanier (Perez, Suarez u. a.) sich anschlossen. In der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrh. bildet Deutschland den Mittelpunkt des Studiums des römischen Rechts. Hatte man im 17. Jahrh. sich bestrebt, das römische Recht den praktischen Bedürfnissen anzupassen, in welcher Richtung besonders Struve (gest. 1692), S. Stryk (gest. 1700), Schiller (gest. 1705) thätig waren, im Beginn des 18. Jahrh. aber auf Anregung des Thomasius eine strenge Scheidung der einzelnen juristischen Disziplinen eingeführt, so machte sich nunmehr wiederum das Streben geltend, das römische Recht selbst als solches, getrennt von dem deutschen, aus welchem man eine besondere Disziplin gebildet hatte, zu erforschen, zugleich aber es selbständiger zu erfassen und eine bessere Systematik anzustreben. Unter den zahlreichen Bearbeitern mögen hier nur Heineccius (gest. 1741), Hellfeld (gest. 1782), Hofacker (gest. 1793), Schömann (gest. 1814), Haubold (gest. 1824), Glück (gest. 1831), Hasse (gest. 1831), E. Spangenberg (gest. 1831), Göschen (gest. 1837), Mühlenbruch (gest. 1843), dann als Vertreter einer rationellern Richtung und als gefeierte Lehrer Thibaut (gest. 1840) und Heise (gest. 1851) genannt werden. Die Erforschung der Geschichte des Rechts und damit eine genauere Kenntnis des geltenden Rechts selbst ward von Hugo (gest. 1844), vor allen aber von Savigny (gest. 1861) angebahnt und gefördert, an welche Männer sich die sogen. historische Schule anschloß. Teils dieser angehörig, teils wieder mehr auf die systematische Behandlung und zum Teil auf eine kritische Behandlung des römischen Rechts gerichtet sind Puchta (gest. 1846), Löhr (gest. 1851), Arndts (gest. 1878), v. Bethmann-Hollweg (gest. 1877), Böcking (gest. 1870), Brinz (gest. 1887), Fein (gest. 1858), Francke (gest. 1873), Jhering, Keller (gest. 1860), Kierulff, v. Scheurl, Sintenis (gest. 1868), v. Vangerow (gest. 1870), Wächter (gest. 1880), Windscheid u. a.
In Deutschland hat das römische Recht nicht allein als Vernunftrecht, sondern auch als positives, unmittelbar anwendbares Recht Geltung erlangt. Die Rezeption des römischen Rechts in dieser Ausdehnung ward außer von den bereits hervorgehobenen allgemeinen Gründen begünstigt teils durch den Zustand des einheimischen Rechts, welches, unzureichend und bei den verschiedenen Stämmen, ja von Stadt zu Stadt verschieden, der Organe zu einer einheitlichen und den Bedürfnissen genügenden Fortbildung entbehrte, teils dadurch, daß die deutschen Kaiser als Nachfolger der römischen Cäsaren, die Gesetze der letztern mithin gewissermaßen als einheimische galten, und daß jene die Geltung des ihnen vielfach günstigen römischen Rechts zu befördern bemüht waren. Vgl. C. A. Schmidt, Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Rost. 1868); W. Modderman, De receptie van het romeinsche regt (Groning. 1874; deutsch von K. Schulz, Jena 1875). Während der „Sachsenspiegel“ (um 1230) vom Einfluß des römischen Rechts noch frei ist, zeigt der „Schwabenspiegel“ (um 1275) schon Spuren desselben und verrät die steigende Autorität der römischen „Meister“. Von nachhaltiger Wirkung war die „populäre“ Litteratur des römisch-kanonischen Rechts (vgl. darüber besonders die Monographie von Stintzing, Leipz. 1867). Im 15. Jahrh. wurde das römische Recht von den rechtsgelehrten Doktoren in den höhern Gerichten, in welchen sie Platz fanden, trotz des Widerstrebens der Schöffen zur Geltung gebracht. Schon im Reichsabschied von 1342 hatte Kaiser Ludwig der Bayer bestimmt, daß das kaiserliche Hofgericht „nach kunig und keisern, seiner vorfaren an
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 932. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s0932.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2024)