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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 16

erhält man dagegen viel geringern W., welcher durch allerlei Künsteleien (Schmierereien) genießbar gemacht zu werden pflegt. Derartigen nicht zu billigenden heimlichen Manipulationen steht eine rationelle Weinverbesserung gegenüber, welche mit unschädlichen Mitteln den W. oder Most in der Weise verbessert, daß man ein wohlschmeckenderes und der Gesundheit zuträglicheres (weil z. B. nicht übermäßig saures) Getränk erhält. Ein auf solche Weise erhaltener guter Kunstwein ist schlechtem Naturwein weit vorzuziehen, und es ist durchaus ungerechtfertigt, rationelle Wein- und Mostverbesserung anders zu beurteilen als die allgemein übliche Verbesserung andrer Nahrungs- und Genußmittel. Das Vorurteil gegen Kunstweine wird meist direkt oder indirekt durch Fabrikanten und Händler genährt, welche fürchten, die als Naturwein in den Handel gebrachten Produkte heimlicher Schmierereien durch wohlschmeckende gesunde Kunstweine verdrängt zu sehen.

Sehr allgemein werden die Weine verschnitten, d. h. dunkle werden mit hellen, zu alte mit jungen, leichte mit schweren, alkoholreiche, dicke mit leichten, feurigen Weinen vermischt, um ein Produkt zu erhalten, welches an Güte den Wert der einzelnen zur Mischung benutzten Weine übertrifft. In Frankreich werden auch Weine mit zu geringem Alkoholgehalt mit fuselfreiem Spiritus verschnitten, den nach längerm Lagern des Weins auch eine geübte Zunge nicht mehr erkennt. Junger W. wird anhaltend erwärmt (gefeuert), um ihm die Eigenschaften alten Weins zu geben. Umgekehrt wird W. stark abgekühlt (glaciert), wobei sich fast reines Eis, Weinstein, Eiweißsubstanzen, Farbstoff etc., die sich sonst erst in Flaschen und Gebinden allmählich ablagern würden, sofort ausscheiden und der W. kräftiger, feuriger, alkoholreicher wird. Das Glacieren wird mit Kältemischungen und Zentrifugalmaschinen zur Trennung des Eises ausgeführt. Kühlt man Most mit Hilfe von Kältemischungen auf −16° ab und entfernt das Eis, so erhält man einen konzentrierten Most und aus diesem einen W., welcher sich den Ausleseweinen besserer Jahrgänge anreiht. In neuerer Zeit wird saurer W. mit Glycerin versetzt (1–3 Volumprozent), um die Säure zu verdecken und dem W. mehr Körper zu geben, ihn vollmundiger zu machen (Scheelisieren). Beim Alkoholisieren des Mostes mischt man Most von mindestens 20 Proz. Zuckergehalt vor Eintritt der Gärung mit ca. 10 Proz. Spiritus und behandelt ihn wie gewöhnlich. Der W. kann in 1,5–2 Jahren fertig, d. h. noch süß, hell und dauerhaft, in Flaschen füllbar, sein. Nach Chaptals Vorschlag neutralisiert man einen Teil der Säure in zu saurem Most mit kohlensaurem Kalk u. setzt die noch erforderliche Menge Zucker zu. Dies Chaptalisieren ist noch gegenwärtig beim Burgunderwein gebräuchlich. Rationeller ist das Gallisieren. Man sondert die völlig reifen besten Trauben von den minder guten, bereitet aus erstern einen reinen Naturwein, verdünnt aber den sauren Most aus den geringern Trauben mit Wasser bis auf den normalen Säuregehalt und fügt den noch fehlenden Zucker hinzu. Der Most muß im Hektoliter 0,6 kg Säure und 24 kg Zucker enthalten. Man gewinnt hierbei einen vortrefflichen Tischwein neben Boukettweinen und überdies eine bedeutende Vermehrung der Ausbeute. In der Regel benutzt man gegenwärtig Traubenzucker, doch verdient vielleicht reiner Rohrzucker den Vorzug. Unreiner, nicht kristallisierter Traubenzucker ist jedenfalls verwerflich. Das Gallisieren gestattet selbst in schlechten Jahren, konstant guten W. zu gewinnen. Die gallisierten Weine erfordern nur ein Jahr hindurch Aufmerksamkeit und Behandlung und sind haltbarer als Naturweine. Die Möglichkeit der Verdünnung des Mostes beruht darauf, daß die Beeren hinreichend boukettbildende Stoffe für eine bedeutend größere Quantität W. enthalten. Dieser Gehalt wird aber erst beim Pétiotisieren vollständig ausgenutzt. Man läßt bei Darstellung von Rotweinen zunächst die Maische gären, schöpft den Jungwein ab, gießt eine gleiche Quantität Zuckerwasser (aus Rohrzucker) von dem Gehalt, welchen der Traubensaft besaß, auf die Treber, läßt bei etwas erhöhter Temperatur gären, zieht wieder ab und wiederholt das Verfahren ein zweites und drittes Mal. Sämtliche Weine werden dann gemischt und nach längerer Zeit der Säure- und Gerbstoffgehalt kontrolliert und nötigen Falls durch Zusatz von Weinsäure u. Tannin korrigiert. Auch färbt man die Weine, wenn nötig, mit Malven, Heidelbeeren, Holunderbeeren, Farbhölzern, Anilinfarben etc. In Frankreich stellt man nach diesem Verfahren die großen Massen billiger Bordeauxweine her, und es wird allgemein zugegeben, daß die pétiotisierten Weine sehr feurig, schön von Farbe, sehr würzig und boukettreich, haltbar und leicht zu behandeln sind. Von der ersten Gärung an gerechnet, werden sie in vier Monaten flaschenreif. Sie erreichen selbstverständlich niemals die edlen hochfeinen Naturweine, welche in guten Jahren aus reinem Most gewonnen werden; aber sie bilden ein sehr absatzfähiges Getränk, welches viel besser ist als der W., den man aus dem verwendeten Most ohne Hilfe der Kunst gewonnen haben würde. Zur Bereitung der schweren südlichen Weine wird ein Teil des Mostes eingekocht und dann mit dem übrigen Most vermischt. Sehr allgemein benutzt man in Frankreich den Gips, um die Farbe des Weins zu verbessern, ihn zu klären und haltbar zu machen. Man bestreut die Trauben beim Keltern mit gebranntem Gips oder setzt diesen beim Beginn der Gärung oder als Schönungsmittel dem fertigen W. zu. Der Gips scheint in der That in der angegebenen Weise zu wirken, er setzt sich indes mit den Bestandteilen des Weins in weinsauren Kalk, der sich ausscheidet, und saures weinsaures Kali um. Letzteres Salz bleibt im W. gelöst, und da es schwerlich günstig auf den Organismus des Trinkers wirkt, so ist das Gipsen des Weins verwerflich.

Behandlung. Weinsorten etc., Produktion.

Die Weine unterliegen, namentlich bald nach der Gärung, mancherlei Veränderungen, welche ihre Qualität verringern oder sie gänzlich unbrauchbar machen. Gerbsäurearme Weine, besonders zu früh auf Flaschen gefüllte, werden leicht schleimig, dickflüssig, fadenziehend (Zäh- oder Langwerden), wobei Zucker zersetzt wird. Diese Krankheit verschwindet bisweilen bei kräftigen Weinen von selbst oder beim Schütteln mit Luft oder bei erneuter Gärung nach Zusatz von Zucker. Man verhütet sie durch Zusatz von ca. 15 g Tannin auf 230 Lit. W. Alkoholarme Weine werden bei hoher Temperatur und Luftzutritt leicht essigsauer; bei Beginn dieser Krankheit ist es ratsam, durch Zuckerzusatz von neuem Gärung hervorzurufen; Imprägnieren mit schwefliger Säure kann die Essigbildung einige Zeit verzögern, aber nicht völlig hindern. Rotweine werden bisweilen bei hohem Alter und Temperaturerhöhung bitter; durch 0,25–0,5 g gelöschten Kalk pro Liter soll der bittere Stoff fällbar sein. Alkoholarme Weine bedecken sich auf der Oberfläche mit einer weißen Schimmelhaut (Kahm) als Vorbote des Sauerwerdens. Aus dem Faß entfernt man den Kahm durch Einfüllen von W. mittels eines langen Rohrs, bis die Haut vollständig

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 16. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b16_s0493.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)