Zum Inhalt springen

Seite:Meyers b17 s0755.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

die durch eine Felsbarre thalabwärts abgeschlossen sind. Von einigen Forschern werden die Zirkusseen auf Gletschererosion zurückgeführt, und zu leugnen ist nicht, daß dieselben vermöge ihrer Lage nahe unter dem Gebirgskamm zur Eiszeit Gletscher beherbergten. Die Spuren ehemaliger Gletschererfüllung sind noch heute deutlich erkennbar und zeigen sich in geglätteten oder geschrammten Felsenoberflächen, auf denen stellenweise noch Moränen liegen. Indessen ebenso sicher ist, daß die Gletschererfüllung nur eine vorübergehende Erscheinung war, die höchstens zur weitern Ausgestaltung des bereits vorhandenen Beckens etwas beitrug.

Die gleiche Ursache wird aber auch für die großen Randseen der Alpen angenommen, den Genfer, Neuenburger und Bieler S. den Brienzer, Thuner, Züricher, Walenstätter S. in der Schweiz, den Bodensee, ferner in Bayern den Starnberger S., Ammer-, Kochel-, Schliersee, Tegern- und Chiemsee und endlich für die großen italienischen Seen am Südabdang der Alpen. Den genetischen Zusammenhang zwischen der Gletscherthätigkeit und der Bildung der Alpenseen hat man auf verschiedene Weise zu erklären versucht. Nach der einen Ansicht hat die Thätigkeit der Gletscher nur darin bestanden, daß sie während der Eiszeit mit ihren mächtigen Eismassen die schon vor der Eiszeit gebildeten Seebecken ausfüllten und dieselben so vor Zuschüttung und Einebnung durch fließende Gewässer schützten. Andre denken sich die Seebecken während der Eiszeit entstanden, und zwar seien sie durch die erodierende Wirkung der Gletscher in den festen Felsuntergrund ausgehöhlt worden. Eine vermittelnde Richtung nimmt zwar ein präglaziales Alter der Seen an, doch seien dieselben schon vor Beginn der Eiszeit durch die von Flüssen hineingeschwemmten Schuttmassen ausgefüllt worden. Die Gletscher hätten dann das lockere Material wieder herausgeschaufelt, und so seien nach dem Verschwinden der eiszeitlichen Gletscher die Seen wieder ins Leben getreten. Als Stütze für die Annahme einer Entstehung der Seen durch Gletschererosion wird gewöhnlich der Umstand angeführt, daß die große Mehrzahl der Seen Europas in einem solchen Gebiet liege, das während der Eiszeit vergletschert war. Dabei wird darauf hingewiesen, daß die alpinen Rand- und Vorlandseen reihenartig oder auch radial in den Wegen der Gletscher angeordnet sind; die räumliche Entfaltung des Seenphänomens sowohl in der Richtung von W. nach O. als von N. nach Süden ist der Gletscherentfaltung proportional. Selbst die echten Felsbecken der Hochgebngsregion sollen Erosionsgebilde sein, und nur unter dieser Annahme soll sich die eigentümliche Anordnung und Beschränkung der Hochseen auf die alten Gletschergebiete erklären; der Hochseengürtel der Alpen repräsentiert eine letzte Phase in dem allgemeinen Rückgang der Vereisung. Wie den Alpenseen legt man auch den in Kessel- und Zirkusthälern gelegenen Seen, norwegisch Botner genannt, denen man in der Hohen Tatra, Sudeten, Schwarzwald, Vogesen und den norwegischen Gebirgen so häufig begegnet, glazialen Ursprung bei. Sie liegen meist über oder nur wenig unter der Schneegrenze der Eiszeit, haben vorwiegend eine östliche oder nordöstliche Exposition, sind also nicht den feuchten Südwestwinden und der Sonnenwirkung ausgesetzt. Es ist unmöglich, sie allein durch die erodierende Kraft des fließenden Wassers entstanden zu denken, da sie meistens durch massive Felsschwellen thalauswärts abgeschlossen sind. Aber auch die Gletschererosion ist für diese ziemlich tiefen Felsenkessel, die in festes kristallinisches Urgestein eingesenkt sind, völlig ausgeschlossen. Zum Beweis dessen möge nur auf die Seen der Vogesen hingewiesen werden, als deren Typus der Sternsee dienen kann (s. Tafel, Fig. 3). Der S. liegt in einer Höhe von 984 m, während die umgebenden Felswände des Kessels bis zu 1200 m ansteigen. Ringsherum stürzen die Wände zu dem S. ab, am schroffsten sind die Abhänge im Hintergrund, wo mächtige Grauwackenblöcke den S. umsäumen. Der Abschlußdamm besteht aus anstehendem Granit, der zu beiden Seiten sichtbar ist. Mitten durch den S. geht in der Richtung von NO, nach SW. eine Verwerfung, an der die Grauwacke und der Granit sich berühren. Ähnlich sind die übrigen Vogesenseen gebildet, sie liegen alle in bedeutender Höhe, eng an den Kamm angelehnt, der bei einigen Seen fast senkrecht zu dem Becken abstürzt. Ein Gletscher konnte sich unter solchen Umständen unmittelbar unter dem Kamm nicht bilden, die Seen beherbergten nur die Firnfelder, aus denen sich thalauswärts der Gletscher entwickelte. Wären die Seen glazialen Ursprungs, so müßte man entsprechend der Zunahme der Gletscherentwickelung nach Süden hin am Südost-, Süd- und Südwestabhang der Vogesen die größten Erosionsbecken antreffen; in der That liegen aber die größten und tiefsten Seen nach N. zu, während gleichzeitig das glaziale Phänomen in dieser Richtung abnimmt, so daß der Schwarze S., 950 m über dem Meer, im Mittel 40 m tief mit einem Areal von 14 Hektar, und der Weiße S., 1055 m über dem Meer, an der tiefsten Stelle fast 60 m messend, mit einer Wasserfläche von fast 30 Hektar, ganz außerhalb des zur Eiszeit vergletscherten Gebiets liegen. Die Vogesenseen sind also tektonische Becken, die gleichzeitig mit der Bildung des Gebirges entstanden sind. Zu dem gleichen Resultat haben auch die Untersuchungen über die Entstehungsweise der Schweizerseen geführt. Die genauen Tiefenmessungen im Thuner, Brienzer und Walensee sowie vor allem die hydrographische Aufnahme des Vierwaldstätter Sees haben gezeigt, daß sich der Boden dieser Seen auf weite Strecken in vollkommen ebener, horizontaler Lage zwischen den auf beiden Seiten steil ansteigenden Beckenwänden ausbreitet. Diese horizontalen Flächen des Seebodens sind nichts weiter als alte, durch fließendes Wasser eingeebnete Thalböden, die durch Aufstauung der in sie mündenden Flüsse unter Wasser gesetzt wurden. Die Aufstauung erfolgte aber durch Niveauverschiebungen der Gebirgsmassen, Faltungen oder Verwerfungen. Für die italienischen Seen ist nachgewiesen, daß sie während der mächtigen Hebung, die das Pliocän abschloß, zuerst in Erscheinung traten, und daß sie das unmittelbare Ergebnis dieser Bewegung sind; sie verdanken ihren Ursprung teils Schichtenverwerfungen und Faltungen, teils Senkungen und Hebungen. Daß in einzelnen Fällen Gletscher in losem, lockerm Material flache Becken ausgehöhlt haben, wird von keiner Seite in Abrede gestellt. Die bisher betrachteten Seen sind Festlandsseen oder echte Binnenseen insofern, als sie erst auf bereits bestehendem festländischen Boden gebildet worden sind; im weitern Sinn rechnet man dazu auch die großen Binnenmeere, die nur dem Grad, nicht dem Wesen nach sich von den kleinern Seen unterscheiden und als Überbleibsel einer frühern Meeresbedeckung gewöhnlich mit dem Namen Reliktenseen, d. h. Restseen, bezeichnet werden. Als Beweis der frühern Zugehörigkeit zu einem Meer sah man den Umstand an, daß sich Überreste einer ehemals marinen Fauna und Flora in ihnen vorfanden. Durch die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0755.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2024)