verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18 | |
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bezeichnete der Stillstand nur den Übergang zum allmählichen Rückgang.
2) Die Bevölkerungsverhältnisse des Orients sind um jene Zeit von denjenigen Griechenlands lebhaft beeinflußt worden. So war in Kleinasien bis in die römische Kaiserzeit kein Gebiet dichter bewohnt als die Westküste, wo alle großen griechischen Kolonien ihren Sitz hatten. Die Bedeutung dieses Landstriches wuchs mit dem Verfall des Mutterlandes, also etwa seit dem 2. Jahrh. v. Chr., stetig an, und die Volkszahl, welche zu dieser Zeit 11–13 Mill. betrug (Dichte 20–25, Areal 1/2 Mill. qkm), war in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt noch im Ansteigen begriffen. Das etwas über 100,000 qkm umfassende Territorium von Syrien war vor den assyrischen Eroberungskriegen sehr gut bewohnt; diese brachten einen erheblichen Rückschlag mit sich, und auch zur persischen Zeit vermochte die Bevölkerung sich nicht zu erholen. Dies geschah erst mit der griechischen Eroberung, seit welcher sich insbesondere das Städtewesen lebhaft entwickelte (Antiochia). Syrien versorgte den Westen noch mehr als Kleinasien mit Sklaven, woneben die Auswanderung der Juden auch sehr stark war, so daß der Schluß auf eine dichte Bevölkerung gerechtfertigt sein dürfte. Das ganze Gebiet zählte zur Zeit Neros etwa 7 Mill. (Dichte 67), während auf Palästina (296,000 qkm) etwa 2 Mill. entfielen. Je weiter wir dann in das Innere Asiens vordringen, desto spärlicher werden die Nachrichten, z. B. über die dicht bewohnten Gebiete am untern Euphrat und Tigris, über das nur schwach bevölkerte Mesopotamien, die menschenreichen Länder Persis und Indien. Nur über China liegen, und zwar schon seit uralten Zeiten, bessere Nachrichten vor, aus welchen zu entnehmen sein soll, daß die Volkszahl im 23. Jahrh. ebenso wie im 11. Jahrh. v. Chr. etwa 131/2 Mill. betrug; im 1. und 2. Jahrh. n. Chr. soll dieselbe von 22 auf 56 Mill. angestiegen sein etc. Die historischen Quellen sind hier nichts weniger als spärlich, wohl aber deren Bearbeitung, so daß das letzte Wort noch lange nicht gesprochen sein wird. Jedenfalls aber zählen diese Nachrichten zu den interessantesten in der Geschichte der Menschheit, ebenso wie jene, welche über das jüdische Volk aus der Bibel entnommen werden können. Auch in dem alten fruchtbaren Kulturland Ägypten sind amtliche statistische Aufzeichnungen schon in sehr früher Zeit veranstaltet worden, sowohl was den Stand der Bevölkerung, als auch was die Bevölkerungsbewegung anbelangt; doch harren diese Quellen im allgemeinen noch der Erschließung. So viel steht wohl fest, daß Ägypten das dichtest bewohnte Land des Altertums gewesen sein mag; schon unter Ptolemäos I. dürfte die Dichte 100 und unter Tiberius gar 180 betragen haben. Mit Beendigung der persischen Fremdherrschaft ging das Land einer neuen Blüte entgegen, die sich in der griechischen und römischen Zeit immer mehr entfaltete. Die größte Stadt des Orients, Alexandria (1/2 Mill. in der Blütezeit), fand sich in diesem Lande.
3) Rom und Italien. Roms dominierende Stellung kam frühzeitig auch in seiner Größe zum Ausdruck; zur Zeit der letzten Könige war es, wenn von den griechischen Kolonien in Italien abgesehen wird, die größte Stadt des Landes. Ein enormes Anwachsen der Stadt erfolgte dann in jener Zeit, welche zwischen dem Auftreten der Gracchen und demjenigen J. Cäsars liegt, und dessen vornehmste Ursache waren die Getreidespenden. Als später unter Cäsar und Augustus die Getreidespenden beschränkt wurden, verlor die Stadt viel von ihrer Anziehungskraft auf die Proletariermassen. In der Kaiserzeit bis auf Diokletian bleibt die Bevölkerung stationär; es zeigte sich eben, daß die Stadt für ihre Größe nicht genügendes inneres Leben besaß. Als dann in der Folgezeit Rom aufhörte, die Hauptstadt oder doch die alleinige Hauptstadt zu sein, war der Beginn zum allmählichen Verfall gegeben. Die Bevölkerung betrug zur Zeit von Christi Geburt etwa 1/2 Mill. bürgerliche Einwohner, 60–70,000 Peregrinen und 30,000 Sklaven; rechnen wir nun noch Ostia hinzu, so darf als Gesamtziffer etwa 800,000 Einw. angenommen werden. Die Umgebung der Stadt und ihrer 300 Vorstädte war ziemlich menschenleer. – Was Italien anbelangt, so müssen wir Unter- und Oberitalien und die Inseln unterscheiden. Die Halbinsel südlich des Apenninus zählte zur Zeit vor Hannibal etwa 3 Mill. Einw. (darunter 1/2 Mill. Sklaven, Dichte 20–24). Berücksichtigt man die zahlreichen Kriege, mittels welcher die Hegemonie Roms begründet wurde, so darf man annehmen, daß Unteritalien im 4. Jahrh. v. Chr. noch stärker bewohnt gewesen war. Oberitalien war damals als unwirtliches Land ziemlich menschenleer. Der unvermeidliche Rückschlag, welchen die Punischen Kriege mit sich führten, war nicht von Dauer, und die Volkszahl stieg bis in die Mitte des 2. Jahrh. v. Chr. stetig an. Dann folgt eine Abnahme, welche durch die Bürgerkriege gewiß nicht aufgehalten wurde und soziale Bedenken erregte; daß diese Abnahme auch zu Augustus’ Zeiten noch anhielt, zeigen dessen auf die Hebung der Bürgerzahl abzielenden Gesetze deutlich; dagegen stieg die Zahl der Sklaven allerdings beträchtlich an. Erst mit der friedlichen Zeit unter den ersten Kaisern vermag die Bevölkerung sich zu erholen und verhältnismäßig anzusteigen. Die Volkszahl der gesamten Halbinsel, welche zu Hannibals Zeit etwa 4–41/2 Mill. (davon 1 Mill. Sklaven) betrug, stieg in der Zeit des Augustus (1. Zensus) auf 51/2 Mill. und in der Zeit des Claudius auf 7 Mill. Menschen an (Dichte 22–28, gleich dem heutigen Sardinien). Viele Jahrhunderte später, um 1500, also im Italien der Renaissance, begegnen wir im Lande wieder etwa derselben Volkszahl wie zur Zeit der römischen Kaiser; welche Veränderungen aber mittlerweile vor sich gegangen waren, wird wohl kaum jemals vollständig aufgehellt werden.
4) Der Occident. Auch für das alte Hispanien, Gallien, die Donauländer etc. vermag die heutige Wissenschaft die Volkszahlen in allgemeinen Umrissen zu geben; in Spanien, wohin die Kultur zuerst getragen wurde, war die Bevölkerung dichter als etwa in Gallien, wohin sie ein Jahrhundert später gelangte, und in den Donauländern wuchs die Zahl erst seit Augustus mehr an. Was Afrika anbelangt, so ersehen wir, welch furchtbare Bedeutung der karthagische Feind für Rom haben mußte, wenn diese alte, dichter als Italien bewohnte Kulturstätte (30–40 pro Quadratkilometer) auf 3–4 Mill. Einw. geschätzt wird.
Einen Gesamtüberblick über das Römische Reich zur Zeit des Augustus gibt (nach Beloch) die folgende Tabelle (S. 112). Hiernach umspannte dasselbe beim Tode des Augustus das enorme Territorium von 31/2 Mill. qkm, eine Fläche, sechsmal größer als das heutige Deutschland; seine Bevölkerung aber übertraf das gegenwärtige deutsche Volk nur um ein Geringes. Die innere Haltlosigkeit dieses Riesenbaues prägt sich deutlich in der minimalen Dichtigkeitsziffer von 16 aus, welche man heute in den zivilisierten Gegenden vergeblich suchen würde.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0127.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2024)