verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18 | |
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Krieges, hören wir von weit volkreichern Städten; so dürfte Straßburg 30,000, Breslau im 16. Jahrh. 40,000 und dann 30,000, Nürnberg 40–50,000, Danzig und Augsburg 50,000 Einw. gehabt haben, nachdem die letztgenannte Stadt im 16. Jahrh. wohl 60,000 und noch mehr Einwohner gezählt hatte. Und in der That ist in der Zeit vom 15. Jahrh. angefangen bis zu Beginn des 17. Jahrh. in den deutschen Städten ein kräftiger Aufschwung der Volkszahl zu verzeichnen. Damit sind allerdings auch die größten deutschen Städte jener Zeit genannt. Wie das städtische Leben vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges im allgemeinen beschaffen gewesen sein mag, können wir z. B. an den Verhältnissen der Mark Brandenburg ermessen, die zwischen dem Städtereichtum der Rheingegend und der Seeküste einerseits und den städtelosen Berg- und Heidegegenden etwa die Wage hielt. Das Gros der Städte hielt sich in den Grenzen von 1200–1500 Einw. einerseits und 4000–5000 Einw. anderseits. Unter dem Niveau von 1200–1500 Einw. sind die zahlreichen „Städtlein“ zu suchen, die mehr einem heutigen großen Dorfe entsprachen und entweder Bezirksmittelpunkte, oder Zollstätten u. dgl., oder endlich herabgekommene Gemeinwesen darstellten. Über das Niveau von 4000–5000 gehen die Hauptstädte, am meisten Berlin mit 14,000, Brandenburg und Frankfurt mit 10,000 und Stendal mit 8000 Einw. hinaus. Auch in Süddeutschland dürften sich die Größenverhältnisse ähnlich darstellen. Zu dem oben charakterisierten Gros dürften z. B. Tübingen, Schmalkalden, Ingolstadt gehört haben, während die Hauptstädte Stuttgart, Kassel, Landshut, München u. dgl. den Hauptstädten der Mark Brandenburg an Größe ziemlich gleichstanden; dieselbe erreichte auch die Bergstadt Freiberg i. S. und die Handelsstadt Leipzig (beide ca. 14–15,000 Einw.). Das Bild, welches wir uns von den deutschen Städten in der Zeit zu Ende des Mittelalters bis zum Dreißigjährigen Kriege zu machen vermögen, ist somit ziemlich klar und jedenfalls geeignet, übertriebene Größenvorstellungen sehr zu reduzieren. Im Anschluß daran sei die Volkszahl Straßburgs seit 1470 hier tabellarisch beigesetzt:
um 1470: | 20722 | Einw. |
1564–1600: | 30000 | „ |
1601–1633: | 32900 | „ |
1641–1673: | 25400 | „ |
1697: | 26481 | „ |
1709: | 32510 | „ |
1720: | 45590 | „ |
1728–1749: | 47700 | „ |
1750: | 49870 | „ |
1751–1770: | 49200 | „ |
1771–1780: | 50500 | „ |
1789: | 49948 | „ |
1807: | 53089 | „ |
1827: | 54700 | „ |
1875: | 94306 | „ |
1885: | 112019 | „ |
In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege, als sich viele Städte von dem Rückgang, den sie durch die Kriegswirren erlitten hatten, wieder erholten, werden auch die Nachweisungen zahlreicher, was noch mehr seit Beginn des 18. Jahrh. der Fall ist, obzwar die historische Statistik noch nicht dazu gelangt ist, die populationistischen Verhältnisse des 18. Jahrh. genügend rekonstruiert zu haben. Dagegen haben viele statistische Ämter der Städte es sich angelegen sein lassen, die frühern Zählungen zu publizieren und auch die gegenwärtigen populationistischen Daten in das vorige Jahrhundert zurückzuverfolgen. Dazu kommt, daß für das vorige Jahrhundert die Pfarrmatriken doch ziemlich vollständig vorliegen und der Bearbeitung nur geringe Schwierigkeiten entgegenstellen. Im allgemeinen ist ersichtlich, daß der Aufschwung der Volkszahl der Städte, ebenso wie derjenige der Bevölkerung überhaupt, im 18. Jahrh. immer noch ein sehr langsamer war. London zählte 1760 etwa 670,000 Einw. und war die größte Stadt der Zeit, denn Paris zählte vielleicht nicht viel über 600,000. Im weiten Abstand stand Wien mit nicht ganz 200,000 Einw., welche Zahl erst um 1780 erreicht wurde. Erst im 19. Jahrh. entwickeln sich die Weltstädte zu Millionenstädten. In diesem Jahrhundert beginnt eine Periode ununterbrochenen Anwachsens der Städte, meist als Frucht des Aufsaugens der umliegenden Orte. Wie wenig dies in früherer Zeit der Fall war, zeigt das Beispiel von Paris, dessen Volkszahl von 1637 bis 1790 zwar von 415,000 auf fast 600,000 anstieg, in der Zwischenzeit aber mehrmals 700,000, auch 800,000 erreicht haben soll.
Gallien, das heutige Frankreich, war vor der Eroberung durch die Römer von zahlreichen Barbarenstämmen bewohnt, welche Ackerbau trieben und selbst eines gewissen Gewerbfleißes nicht entbehrten, dabei aber untereinander in steter Fehde lagen. Der bedeutende französische Statistiker Levasseur, dem wir die nachfolgenden Mitteilungen verdanken, schätzt (etwas höher als, wie früher mitgeteilt, Beloch) die Gesamtvolkszahl dieser Stämme für Gallien auf 6–7 Mill. und auf dem Gebiet des heutigen Frankreich auf 8 Mill. Die römische Eroberung brachte mit der Zeit eine hohe Kultur und Bevölkerungsdichte mit sich, so daß die Volkszahl des römischen Gallien unter den Antoninen auf 81/2 Mill. angestiegen sein dürfte. Die nun folgende Eroberung durch die Germanen hatte für die ersten Jahrhunderte des Mittelalters einen Rückschlag der Bevölkerung im Gefolge, von dem auch die unter der Römerherrschaft blühenden Städte ergriffen wurden. Auch Karl d. Gr. war genötigt, an das Land und die Bevölkerung enorme Anforderungen zu stellen, so daß wir zu seiner Zeit die Volkszahl des Landes kaum für größer erachten dürfen, als sie vor der römischen Eroberung schon war. Es muß also etwa vom 5. bis zum 9. Jahrh. n. Chr. ein Bevölkerungsrückgang stattgefunden haben. Nun aber beginnt mit der Befestigung der Feudalverfassung eine Periode stetig ansteigenden Bevölkerungszuwachses, welche bis in das 14. Jahrh. andauert. Das Land erholt sich, die Landbevölkerung wird seßhaft und lebt gesichert, Städte und Industrie blühen wieder auf. Bis zum 14. Jahrh. wächst die Volkszahl, ungeachtet der immerhin zahlreichen internen Fehden und Hungersnöte, auf die bedeutende Ziffer von 20–22 Mill. an, welche bis in die Zeiten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. nicht mehr erreicht werden sollte. Diese Epoche blühender Entwickelung wurde durch den sogen. Hundertjährigen Krieg grausam unterbrochen, die Städte verfielen, und das offene Land verödete; die Volkszahl sank wohl um ein Drittel, vielleicht um noch mehr. Erst in der Periode von 1453 bis 1560 vermochte sich das Land wieder zu erholen; obgleich die italienischen Kriege viel Gut und Blut kosteten, so brachte doch die blühende Zeit der Renaissance, das Einströmen gewaltiger Edelmetallsummen mit seiner Wertsteigerung und Beförderung von Gewerbe und Handel den Effekt hervor, daß die Volkszahl wieder über jene Höhe von 20 Mill. anstieg, welche sie vor Beginn des verheerenden Krieges der 100 Jahre bereits besaß. Nun aber brachen die Religionswirren aus, und obgleich dieselben kaum ein halbes Jahrhundert andauerten, so warfen sie doch die Volkszahl wieder beträchtlich zurück, so daß sie sich am Ende des 16. Jahrh. genau wieder dort befand, wo sie schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. gewesen war. Dann folgte die weise Regierung Heinrichs IV., unter welchem die dem Volke geschlagenen Wunden wieder heilen konnten.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0129.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2024)