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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2

hatten weder Staat noch Stadt Opfer gescheut. Der Kaiser bewilligte zum Ausstellungsplatz den Wiener Prater. Hier wurden Brücken geschlagen, neue Straßen gezogen, das Netz der Pferdebahn erweitert. Auf dem Industriepalast, nach dem sogen. Fischgrätensystem konstruiert, erhob sich eine vom englischen Ingenieur Scott Russell entworfene Rotunde, 135 m im Durchmesser, 105 m hoch, die Peterskirche zu Rom in beider Hinsicht überragend. Den gemachten großen Anstrengungen entsprachen die Resultate leider nicht; gleich nach den ersten Wochen spielte der Wiener Krach störend hinein, und mit der Frequenzziffer der Besucher (7,254,687) blieb Wien hinter Paris (15 Mill.) weit zurück, in finanzieller Hinsicht schloß diese Ausstellung am ungünstigsten ab. Vgl. den „Offiziellen Ausstellungsbericht“, herausgegeben durch die Generaldirektion der Weltausstellung (Wien 1874, 14 Bde.); den „Amtlichen Bericht über die Wiener Weltausstellung 1873“, erstattet von der Zentralkommission des Deutschen Reichs für die Wiener Weltausstellung (Braunschw. 1874 ff.); dazu noch Lützow, Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung (Leipz. 1875).

Philadelphia 1876. Den äußern Anlaß zu dieser Ausstellung gab die hundertste Wiederkehr der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika 1776; man nannte sie daher die Centennial Exhibition. Als Platz wurde Philadelphia gewählt, das in seinem Fairmountpark ein vorzüglich geeignetes Terrain bot, dabei zugleich in den schattigen Baumgruppen, Wiesenflächen und Thalschluchten desselben der Ausstellung einen landschaftlichen Reiz gab, dessen sich keine ihrer Vorgängerinnen rühmen konnte. Aber die Beteiligung Europas wie Asiens war hier eine weit geringere als aus den vorhergegangenen europäischen A. Die Centennial Exhibition trug einen vorwiegend amerikanischen Charakter. Von den 28 Mill. kg Waren, welche installiert werden mußten, lieferten die Vereinigten Staaten allein 19 Mill. kg. Indessen gehörten von den 14,420 Ausstellern doch nur 3475 der Union an; aus England und seinen Kolonien kamen 2360 Aussteller, aus der Türkei 1606, aus Spanien 1007, Frankreich 721, Deutschland 669, Portugal 560, Rußland 402, Österreich-Ungarn 347 etc. Dazu kommen noch für die Maschinenhalle Anmeldungen von 2321 und für die Agrikulturhalle von 11,137, welche mit den 2472 Ausstellern, die in der Memorialhalle mit Gemälden, Skulpturen, Stichen etc. aufgeführt sind, die Gesamtzahl der Aussteller auf 30,400 bringen, während nur 26,986 wirklich ausgestellt haben sollen. Der Charakter dieser Ausstellung war ein wesentlich andrer als der ihrer Vorgänger, der Schwerpunkt war auf ein ganz andres Gebiet gerückt. Schon in Wien hatte Amerika gezeigt, daß es in der Maschinenindustrie sich mit allen andern Ländern messen könne. Hier war aber der Maschinenhalle mehr als ein Viertel der gesamten Baufläche zugewiesen worden. Die „Corliß-Centennialmaschine“ in der Mitte der Halle, welche sämtliche andre Maschinen durch eine unübersehbare Länge von Transmissionssträngen trieb, bildete den Hauptanziehungspunkt der Maschinenausstellung, wie diese selbst das allgemeinste Interesse in der ganzen Ausstellung erregte. Von der Leistungsfähigkeit des deutschen Kunst- und Gewerbfleißes gab die Ausstellung in Philadelphia kein zutreffendes Bild. In Wien war Deutschland durch 8663 Aussteller vertreten, in Philadelphia durch 1001. Eine genaue Prüfung des Katalogs und der von Professor Reuleaux und andern kompetenten Richtern erstatteten Berichte ergibt, daß das von ersterm gefällte abfällige Urteil („billig und schlecht“) einer wesentlichen Modifizierung bedarf. Daß trotzdem das Reuleauxsche Urteil auf viele unsrer Fabrikate paßte, beweisen selbst diejenigen, welche ihn am heftigsten angriffen. Übrigens erntete die deutsche Ausstellung in vielen ihrer Fächer sogar von französischer Seite rückhaltloses Lob. Vgl. Reuleaux, Briefe aus Philadelphia (Braunschw. 1877), und den 26 Bände füllenden „Bericht der österreichischen Kommission für die Weltausstellung in Philadelphia“ (Wien 1876–78).

Paris 1878. Nach der Niederlage in Philadelphia fühlte man in Deutschland keine Neigung, sich in Frankreich zu zeigen; doch beteiligte sich Deutschland schließlich durch eine im letzten Augenblick geplante Kunstausstellung. Obschon nur 155 Ölbilder (keine von großen Dimensionen), 4 Aquarelle und 24 Skulpturen den äußerst reich und geschmackvoll dekorierten Raum kaum füllten, so errang sich die deutsche Kunst doch die unumwundenste Anerkennung. Die übrigen Nationen waren wenn möglich noch vollständiger vertreten als in Wien. Österreich, durch den finanziellen Mißerfolg 1873 abgeschreckt, entschloß sich erst in später Stunde, leistete aber sehr Tüchtiges. Andre Staaten waren aber sehr bedeutend beteiligt. Das Programm bot nichts Neues; alle Gegenstände wurden unter 9 Gruppen in 90 Klassen geordnet. Originelle Züge, durch welche sich die Ausstellung vor ihren Vorgängerinnen auszeichnete, waren: die Fassadenreihe, eine Straße, in welcher sich die Baustile aller auf der Ausstellung vertretenen Völker nebeneinander präsentierten, und die Galerie der Arbeit, welche die überwiegend auf Thätigkeit der Hände beruhenden Gewerbe in voller Lebendigkeit vor Augen führte. Auf dem Gebiet der Verkehrsanstalten war manches Neue da, wie das von Chartinn-Herrmann ausgestellte Modell einer Gleitschuhlokomotive (locomotive à patins), die mit komprimierter Luft getriebenen Tramwayfahrzeuge (pneumatic tramways), ferner die Beleuchtung mittels Elektrizität. Neu war auch die Zusammenstellung völliger Zimmereinrichtungen. Arbeitsmaschinen wie Maschinen für bewegende Kraft zeigten große Vervollkommnung, so die mit verschiedenen Modifikationen erscheinenden kalorischen Maschinen und Gasmotoren, während die elektromagnetischen den Bedürfnissen noch nicht entsprachen. Als Platz war wiederum das Marsfeld gewählt worden, doch hatte man diesmal den auf dem andern Ufer der Seine liegenden Trocadero mit einbezogen. Besucht wurde die Ausstellung von 12,623,847 Personen oder mit Einschluß der Arbeiterdelegationen von 16,158,719 Personen. Auch der pekuniäre Erfolg war ein günstiger, denn dem sich ergebenden Defizit von 20 Mill. Frank stand ein Mehrerträgnis der indirekten Steuern von 70 Mill. Fr. gegenüber. Die Weltausstellung zu Paris war, wie die in Wien, Gelegenheit für eine Anzahl der verschiedensten Kongresse. Wirklich wichtige Erfolge erreichten aber nur drei derselben, welche aus den offiziellen Abgeordneten der verschiedenen Staaten bestanden: der internationale Postkongreß, welcher eine Erweiterung des Weltpostvereins zur Folge hatte, die internationale Münzkonferenz und die internationale statistische Permanenzkommission. Auch über die Pariser Ausstellung wurde ein wertvoller amtlicher Bericht veröffentlicht.

In den nächstfolgenden Jahren wurde eine Weltausstellung für mehr als eine Hauptstadt Europas geplant; doch hat ein solcher Gedanke bisher nur für Antwerpen, das eine Weltausstellung für 1885 vorbereitet,

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b2_s0135.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2022)