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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2

man die zum Tod verurteilten Ketzer, welche barfuß gingen und mit dem Sanbenito und einer spitzen Mütze angethan waren, und hinter denen die Bildnisse entflohener und in Särgen die Leichname verstorbener Angeklagten hergetragen wurden, zur Kirche, wo die Verurteilten mit ausgelöschter Kerze in der Hand vor einem Kruzifix aufgestellt wurden, um ihr Urteil zu vernehmen. Darauf wurden sie dem weltlichen Richter überliefert und gefesselt in den Kerker zurückgebracht, um von da zum Richtplatz geführt zu werden. Widerriefen sie schließlich noch ihre Ketzerei, so wurden sie vorher erdrosselt, im entgegengesetzten Fall aber lebendig verbrannt und mit ihnen die Bildnisse und Gebeine der entflohenen oder verstorbenen Angeklagten. Seit 1481 waren diese Massenhinrichtungen im Schwange, und eins der glänzendsten Autodafees war das, welches noch 1680 unter Karl II. zu Madrid stattfand. Während des 18. Jahrh. kamen die Autodafees in Abnahme. Der Unterschied des spätern Verfahrens von dem frühern bestand darin, daß man die Hinrichtungen in der Regel im Inquisitionsgebäude vollzog. In Spanien allein sind von 1481 bis 1808, den 1834 veröffentlichten Berichten zufolge, 34,658 Menschen öffentlich oder im geheimen hingerichtet, 288,214 zu lebenslänglichem Gefängnis oder zu den Galeeren verurteilt worden. Vgl. Inquisition.

Autodidakt (griech., „Selbstgelehrter“), ein Mensch, der in einer Kunst oder Wissenschaft einen gewissen Grad von Tüchtigkeit erlangt hat, ohne darin unmittelbar unterrichtet worden zu sein. Oft versteht man unter Autodidakten auch solche, die in dem Fach ihres Wissens und Könnens nur des mündlichen, schulgerechten Unterrichts entbehrt, aber im selbständigen Studium Bücher, Muster und andre Lehrmittel benutzt haben. Man findet bei ihnen als Folge ihres eigentümlichen Bildungsgangs in der Regel Kraft, Selbständigkeit und Gewandtheit des Geistes, nicht selten indessen auch Einseitigkeit und Selbstüberschätzung ausgeprägt. Das glänzendste Beispiel eines Autodidakten in diesem weitern Sinn ist aus der neuern Geschichte Benjamin Franklin. Autodidaxie, das Lernen ohne Lehrer.

Autodynāmisch (griech.), durch sich selbst kräftig, selbstwirkend.

Autognosīe (griech.), Selbstkenntnis, Selbstprüfung; autognostisch, auf Selbstprüfung beruhend.

Autogonīe (griech.), s. Urzeugung.

Autogrāph (griech. Autographon, „Selbstschrift“), eigenhändiges Schreiben, Handschrift einer (berühmten) Person, Urschrift; in den ersten Zeiten der Buchdruckerkunst auch der erste, unter Aufsicht des Verfassers bewirkte Druck eines Buches (Urdruck). – A. als Vervielfältigungsinstrument, s. Hektograph.

Autographensammlungen (hierzu zwei Tafeln: „Autographen berühmter Personen“), Sammlungen von Originalhandschriften als solchen. Dergleichen A. sind daher keine Archive oder Manuskriptsammlungen; doch wie es der Bibliothekar als eine erfreuliche Zugabe anzusehen hat, wenn das durch seinen Inhalt wertvolle Manuskript zugleich die Eigenschrift des Verfassers ist, so wird auch dem Autographensammler selten der Inhalt eines Papiers vollkommen gleichgültig sein. Obwohl Autographen nicht die Aufgabe haben, dem historischen Studium zu dienen, auch ihrer Natur nach nicht einen Kunstgenuß, wie Sammlungen von Bildwerken, oder einen Nutzen, wie naturhistorische Kabinette, gewähren können, so sind sie doch keineswegs als bloße Kuriositäten zu betrachten. Es hat einen eigentümlichen Reiz, dem geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem Charakter eines Menschen und seiner Handschrift nachzuspüren, und daß das häufige Bestehen eines solchen Zusammenhangs nicht in Abrede gestellt werden kann, beweist z. B. der bekannte Umstand, daß weibliche Handschriften von männlichen in der Regel leicht unterschieden werden können. Die Liebhaberei an Autographen kam Ende des 16. Jahrh. zuerst in Frankreich auf, und zwar pflegten diese Sammlungen damals vorzugsweise historische Aktenstücke, Gesandtschaftsberichte, Memoiren, Urkunden und Briefe berühmter Personen zu enthalten, wie sie auch vornehmlich zum Zweck der geschichtlichen Forschung und der Publizistik angelegt wurden. Die großartigste derartige Sammlung autographischen Materials von Anfang des Mittelalters an bis auf die neueste Zeit herab besitzt die öffentliche Bibliothek in Paris. Von Frankreich aus fand das Sammeln von Autographen zunächst in England, wo, abgesehen von zahlreichen Privatsammlungen, das Britische Museum eine auserlesene Sammlung birgt, und von da seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. auch in Deutschland Eingang, wo es besonders in den letzten Jahrzehnten sehr in Schwang kam. Infolge davon wurden die Autographen Gegenstand des Verkehrs, und es bildete sich der Autographenhandel zu einem besondern Gewerbszweig aus, welcher meist mit dem Antiquar-, Buch- und Kunsthandel verbunden ist. Der Ein- und Verkauf findet teils durch Auktionen, teils aus freier Hand, d. h. durch Kataloge mit fest bestimmten Preisen, statt. Der erste Versuch, eine von Richelieu herrührende Sammlung öffentlich zu versteigern, wurde 1801 zu Paris gemacht, während der erste Autographenkatalog, die Sammlung von Pixerécourt enthaltend, 1822 ebenfalls in Paris erschien. Im J. 1838 gründete Charon in Paris das erste Autographengeschäft, welches nach einiger Zeit Aug. Laverdet, dann Gabriel Charavay und nach dessen Tod sein Sohn Eugène Charavay übernahm. In Deutschland ward die erste Autographenauktion 1838 in Wien durch den Buchhändler Gräffer veranstaltet; ihr folgte 1843 die zweite, von T. O. Weigel in Leipzig bewerkstelligte. Im Lauf der Jahre hielt der letztere sowie auch Herm. Hartung in Leipzig noch mehrere Autographenauktionen ab, während sich seit 1864 List u. Francke in Leipzig diesem Geschäftszweig mit Eifer widmen. Die bedeutendsten Autographenhändler in Deutschland sind O. A. Schulz in Leipzig, L. Liepmannssohn, J. A. Stargardt, R. Zeune (A. Spitta) in Berlin. Im Ausland sind Etienne Charavay u. Eugène Charavay in Paris, Thibaudeau und John Waller in London, Arrigoni in Mailand und Burns and Son in New York zu nennen. Eine der bedeutendsten Sammlungen (mit verkäuflichen Dubletten) besitzt Wilhelm Künzel in Leipzig. Die große Nachfrage nach Autographen, besonders nach den Koryphäen der klassischen Epoche der deutschen Litteratur, hat auch zu Fälschungen Veranlassung gegeben; so wurde 1856 zu Weimar einem Architekten v. Gerstenberg der Prozeß gemacht, weil er Autographen Schillers in großer Anzahl angefertigt und verkauft hatte. Großes Aufsehen in ganz Europa erregten später die angeblichen Autographen von hervorragenden Männern fast aller Zeiten (seit Cäsar), die der französische Mathematiker Chasles (s. d.) erworben hatte und teilweise veröffentlichte, bis er 1869 zugestehen mußte, von einem Fälscher damit getäuscht worden zu sein. Zur Verifikation zweifelhafter Autographen dienen dem Sammler besonders Faksimiles, die durch Lithographie, Kupferstich oder Holzschnitt

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b2_s0170.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2021)