Seite:Meyers b3 s0076.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 3

Narbenscheibe t stoßen müssen, an der sie festhaften und die Befruchtung bewirken. Man kann die Thätigkeit der blumenbesuchenden Insekten in diesem Fall durch einen einfachen Versuch nachahmen, indem man mit einer Bleistiftspitze (Fig. 8) gegen das Beutelchen

Fig. 8.
Blüte einer Orchis.
I Im Längsschnitt, II nach Entfernung der Blütenzipfel, um den Bestäubungs­apparat freizulegen, o Oberlippe, u Unterlippe, f Frucht­knoten, n Sporn, t Narbe, r Beutelchen, a Pollen­behälter, p Pollinarium, s Stiel desselben, k Kleb­scheibe; III stellt die an eine Bleistift­spitze gehefteten Pollinarien, IV die nach­trägliche Krümmung ihrer Stiele dar.

einer noch nicht besuchten Blüte stößt; dadurch werden die Pollinien sofort auf die Bleistiftspitze übertragen (III in Fig. 8), haften an derselben fest und führen auch die oben beschriebene Drehung (IV in Fig. 8) aus. Eine besonders merkwürdige Bestäubungseinrichtung, die als Kesselfalle bezeichnet wird, kommt bei den langröhrigen Blüten der Osterluzei (Aristolochia Clematitis) vor. Diese (Fig. 9) haben einen weiten Schlund s, einen dünnen,

Fig. 9.
Blüte der Osterluzei.
I Blütenstand, II im Längsschnitt vor der Bestäubung, III nach der Bestäubung, s Schlund, r Röhre, h Haare, k Kessel, n Narbe, a Staub­beutel, f Frucht­knoten.

innen mit einwärts gekehrten Haaren h ausgekleideten Hals r und unten einen weiten, kesselartigen Raum k, in welchem direkt unter der Narbe n sich sechs Staubbeutel a befinden. Die B. wird hier durch winzige Mückenarten bewerkstelligt, die in den Kessel hineinkriechen und auf der Narbe den von frühern Besuchen mitgebrachten Blütenstaub absetzen, da die Staubbeutel der Blüte anfangs noch geschlossen sind. Am Hinauskriechen werden sie durch die reusenartig gestellten Haare verhindert, welche erst nach Öffnung der Staubbeutel und gleichzeitiger Umdrehung der Blumenkrone (III in Fig. 9) einschrumpfen und auf diese Weise den zuerst gefangenen, mit Blütenstaub beladenen Blumengästen den Austritt wieder gestatten.

Neben der Fremdbestäubung, welcher die bisher beschriebenen Einrichtungen der Blumen dienen, spielt die Selbstbestäubung eine sehr untergeordnete Rolle. Es gibt jedoch eine Reihe von Pflanzen, bei denen außer den gewöhnlichen, für Fremdbestäubung eingerichteten, offenen Blüten noch andre, stets geschlossene und daher auf ausschließliche Selbstbestäubung angewiesene Blüten (kleistogame Blüten) vorkommen. Derartige durch Verkümmerung der Blumenkrone entstehende und daher unansehnliche Blüten, z. B. von Lamium amplexicaule, Oxalis Acetosella, Viola odorata, befruchten sich meist dadurch, daß die Pollenkörner direkt aus den Staubbeuteln ihre Schläuche nach der Narbe hin treiben, während die großen, mit Blumenblättern versehenen Blüten (chasmogame Blüten) derselben Art in der Regel unfruchtbar bleiben.

Vgl. Sprengel, Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und der Befruchtung der Blumen (Berl. 1793); Darwin, Die verschiedenen Einrichtungen, durch welche Orchideen von Insekten befruchtet werden; Derselbe, Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich und „Die verschiedenen Blütenformen bei Pflanzen der nämlichen Art“ (deutsche Ausgabe der „Werke“, Bd. 9 u. 10); Delpino, Ulteriori osservazioni sulla dicogamia nel regno vegetale (Mail. 1868–69); Hildebrand, Die Geschlechterverteilung bei den Pflanzen (Leipz. 1867); H. Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten (das. 1873); Derselbe, Alpenblumen, ihre Befruchtung durch Insekten etc. (das. 1881).

Blutendes Brot, eine seit den ältesten Zeiten vom Aberglauben stark ausgebeutete Erscheinung, welche in dem Auftreten blutroter Flecke auf Backwerk, Fleisch, Eiweiß, Reis, Kartoffeln etc. besteht und schon wiederholt das Volk in starke Aufregung versetzt hat („blutende Hostie“ etc.). Sie wird hervorgebracht durch Vermittelung von Bakterien, welche in eigentümlicher Weise zersetzend auf die stickstoffhaltigen Bestandteile der genannten Substanzen einwirken. Die das Pigment bildenden Bakterien stellen sehr kleine, kugelige oder ovale, blaßrötliche, durch Schleim kolonienweise vereinigte Zellen dar und gehören zu Micrococcus prodigiosus Cohn (Monas prodigiosa Ehrbg.). Im engsten Zusammenhang mit dem Rotwerden steht das Blauwerden der Speisen. Der blaue Farbstoff unterscheidet sich in keiner einzigen Reaktion von demjenigen Anilinblau, welches als Triphenylrosanilin zu betrachten ist, während der rote Farbstoff dem Rosanilin jedenfalls sehr nahe steht. Das Rot- und Blauwerden ist mithin eine durch Bakterien vermittelte Fäulniserscheinung der Proteinstoffe. Das Blauwerden der Milch wird durch Stäbchenbakterien (Bacterium cyanogenum Fuchs) veranlaßt, die zuerst in Form von Inselflecken auf der Milch auftreten, später aber die gesamte Milch eines Gefäßes blau färben. Die Erscheinung hat mit einer Krankheit der Kühe nichts zu thun, vielmehr gelangen die Bakterien bei oder nach dem Melken in die Milch. Vgl. Schröter, Über einige durch Bakterien gebildete Pigmente, in Cohns „Beiträgen zur Biologie“, Heft 2 (Bresl. 1872).

Blütendiagramme, s. Blüte, S. 65.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 3. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b3_s0076.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2022)