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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

Ahnherr schenkte sie einst seiner Frau, der züchtigen und edlen Richenza vom Stain; hernachmals ist das Kleinod als ein ehrenwerthes Denkzeichen der glücklichsten Ehe von einem Sohn auf den andern gekommen, und jetzo, heut, da Ihr mein väterliches Erbe als Hausfrau betreten, vergönnt, daß ich Euch diesen Schmuck umhängen mag: ich weiß, Ihr werdet ihn mit Ehren tragen. – Ich danke meinem Herrn und gütigen Gemahl, antwortete die schöne Frau sehr freundlich: dafern Ihr aber irgend Zweifel habt an mir, so sei es nicht genug an meinem Wort, das Ihr in Marien–Capelle empfangen, und ich gelobe nochmals hier, Euch als ein treues Weib zu dienen, so Gott mir nach dem Tode gnädig sei. – So gingen sie, und Irmel war vergnügt über die gelbe Kette und zeigte das Geschenk mir Freuden der Gesellschaft vor.

Im Anfang ging Alles gut. Die Gräfin schenkte ihrem Mann im ersten Jahre einen Sohn. Sein Hauskreuz aber stellte sich bei Zeiten ein. Die Frau wurde geizig über die Maßen. Ein Sprichwort ging bei’m Volk, sie singe der Henne um’s Ei. Es hieß: Frau Irmel ist nicht dumm, weil sie der Tropfen Oel im Lämplein dauert, läßt sie die Mägde bei Mondschein spinnen. Sonst war Gesang und Harfenspiel ihr schönster Zeitvertreib, jetzt that sie nichts wie rechnen und ihre Leute scheren. Das Aergste

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_032.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)