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100 Ortsbeschreibung.


befinden, trägt noch seinen ursprünglichen frühgermanischen Baustyl, mit Ausnahme eines gegen Osten im Renaissancestyl im Jahre 1600 eingebauten Eingangs. Die schmucklosen Langseiten des Schiffs haben ebenfalls gothische Fenster, nur sind die Füllungen an denselben auf der Südseite nicht aus grobkörnigem Keupersandstein, sondern aus Keuperwerkstein, was ebenfalls eine an dem Langhaus vorgenommene Veränderung beurkundet. Ihr inneres, freundliches und helles Aussehen verdankt die Kirche einer sehr bedeutenden Renovation, die auf das Reformationsfest 1817 an ihr vorgenommen wurde. Bei dieser Gelegenheit erhielt sie, außer mehreren Veränderungen, eine weiße Tünchung, die leider auch alten geschnittenen Chorstühlen zu Theil wurde. An der nördlichen Wand, in der Nähe der Kanzeltreppe, ist ein altes Grabdenkmal mit dem Tübingen’schen Wappen in gelehntem Schilde und folgender Umschrift eingemauert: ANNO : DONI : MCCCXXXVI : OBIIT : HAINRIC : COMES : PALATINUS DE : TUWINGEN : ........ [1] Der Taufstein trägt die Jahreszahl 1518. Die alte Kanzel, deren kunstreicher Schalldeckel bei der Renovation entfernt wurde, ist von Holz und hat an der Brüstung roh geschnittene Apostelfiguren; neben ihr hängt das lebensgroße Bild Luthers in Öl gemalt, das 1817 in die Kirche kam. Das Chor hat 2 einfache Kreuzgewölbe mit Schlußsteinen an den Gurtenkreuzungen, von denen der eine das Lamm Gottes, der andere einen Abt mit dem Hirtenstab vorstellt. An den Anfangspunkten der Gurten sind Consolen mit verschiedenen Fratzengesichtern, Thierfiguren etc. angebracht; eine derartige Console, den Sündenfall darstellend, ist an der südlichen Wand des Schiffs ohne Zusammenhang mit dem übrigen Bauwesen eingemauert und scheint noch von der früheren Kirche übrig geblieben zu seyn. An der westlichen Giebelseite steht der viereckige, aus 5 steinernen Stockwerken bestehende Thurm, an den die Kirche gleichsam nur angelehnt ist und der in gar keiner ursprünglichen Verbindung mit derselben steht. Er hat 6′ dicke Mauern, in den unteren Stockwerken nur schmale schußschartenartige Lichtöffnungen, in den 2 oberen aber schmale, spitzbogige, in den Bogentheilen gothisch gefüllte Fenster. Auf dem massiven Thurm sitzt ein hölzernes, vierseitiges Glockenhaus, das in ein Achteck übergeht und mit einer gewölbten Kuppel, aus dem noch ein kleines Thürmchen emporwächst, gedeckt ist. Obgleich dieser hölzerne Aufbau, der nebst dem Kirchendachstuhl von dem Werkmeister Michael Stahl von Böblingen 1707 erbaut


  1. Das Monument ist abgebildet bei Dorst Grabdenkmäler. Heft 1. Taf. 3. Görliz 1842.
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Beschreibung des Oberamts Böblingen, Stuttgart und Tübingen 1850, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABoeblingen100.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)