Seite:OALeonberg 149.png

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kleinerer an, der ursprünglich als wohlverwahrte Schatzkammer gedient haben mag. Vor dem Schlosse befindet sich ein großer, freier Platz, der ehemalige Burghof; an der nördlichen Seite desselben steht, an der Stelle eines vor etwa 50 Jahren abgegangenen Schloßgebäudes, die Zehentscheuer. Das zunächst dem Steinhaus gelegene neue Schloß ließ Graf Wilhelm von Gräveniz von 1729–1730 durch den Oberbaumeister Retti im Rococostyl massiv erbauen (s. u.); von der früheren eleganten Einrichtung desselben hat sich noch die mit sehr guten Fresken bemalte Decke des ehemaligen Speisesaals, in welchem gegenwärtig Getreide aufbewahrt wird, erhalten. Im Jahr 1734 verschrieb Herzog Karl Alexander das neue Schloß seiner Gemahlin Marie Auguste zum Wittwensitz (s. u.); später diente es als Beamtenwohnung, bis es endlich zu Anfang dieses Jahrhunderts die Gemeinde erkaufte und zu einer Schule einrichtete. Sämmtliche Gebäude, das alte, das neue Schloß und die Zehentscheuer nebst dem namhaften Hofraum, waren mit starken Mauern und doppelten Gräben umgeben, welche zum Theil noch sichtbar, die bedeutende Ausdehnung der ehemaligen festen Burg[1] beurkunden.

Südöstlich vom alten Schloß steht frei auf dem ehemaligen ummauerten Kirchhof die Pfarrkirche, deren Langhaus durch eine im Jahr 1725 vorgenommene Veränderung entstellt wurde. Dagegen hat sich der mit einem halben Sechseck schließende, mit Strebepfeilern und spitzbogigen gefüllten Fenstern versehene Chor, in seiner ursprünglichen germanischen Bauweise noch erhalten. Innen ist die Kirche geräumig und hell; in der Nähe des Taufsteins und im Chor liegen mehrere Grabsteine, namentlich einer des im Jahr 1366 gestorbenen Ritters Wolfgang von Stein.

Von dem Schiff führt ein rundbogiger Triumphbogen zu dem mit einem schönen Kreuzgewölbe versehenen Chor, dessen Schlußsteine mit einem Christuskopf und einer Rosette verziert sind. Der viereckige Thurm, der in ein Achteck übergeht, hat in den untern Stockwerken nur schmale, etwas gedrückte spitzbogige Fensterchen, in dem obern achteckigen Stockwerke aber große, gothisch gefüllte Fenster. Auf den in dem Thurm hängenden drei Glocken stehen die Namen der damaligen städtischen


  1. Daß noch einige andere Gebäude, wie das Burg- und Jägerhaus, auf dieser Stelle standen und Alles mit Mauern und Gräben umfangen und mit Thoren versehen war, erhellt aus den Lagerbüchern von 1574 und 1724, wo auch eines tiefen Brunnens mit großem Dachstuhl und künstlicher Einrichtung gedacht ist. Bei der Beschreibung der Gebäude und des Hofs wird noch besonders angeführt: „ferner auch von Alters her die Freiheit, so eine Person eines Capital delicti halber flüchtig, vor der Handfestmachung diesen Ort erreichet, selbige 24 Stund die Freiheit darinnen zu genießen gehabt.“
Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Leonberg. J. B. Müller’s Verlagshandlung, Stuttgart 1852, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OALeonberg_149.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)