Seite:OAMaulbronn0253.jpg

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Lienzingen,
mit Mühle, Ziegelhütte und Schafhaus.
Gemeinde III. Kl. mit 902 Einw., wor. 1 Kath. – Ev. Pfarrdorf; Die Kath. sind nach Michaelsberg, O.A. Brackenheim, eingepfarrt. 1 Stunde südöstlich von Maulbronn gelegen.


Inmitten fruchtbarer flachhügeliger Felder, die fast ringsum von frischgrünen Waldbergen umschlossen sind, liegt beim Zusammenmünden des von Nordwesten her ziehenden Scherbenthales und des von Westen kommenden Schmie-Thales, an der Spitze des von beiden Thälern gebildeten flachen Rückens der stattliche Ort. An den reinlich gehaltenen Ortsstraßen, namentlich an der durch den Ort führenden Maulbronn-Illinger Landstraße, lagern sich in mäßigen Entfernungen die meist ansehnlichen, nicht selten alterthümlichen in reichem Holzbau errichteten Häuser, von denen sogar einzelne noch mit geschnitztem Balkenwerk verziert sind. Freundlich blickt der Ort mit seiner hübschen hervorragenden Kirche aus dem Grün der Obstbäume, und als eine besondere Zierde der friedlich-schönen Gegend erhebt sich südlich vom Dorf im freien Feld auf anmuthigem Hügel die alte malerische Liebfrauenkirche.

Weite Aussichten bieten sich namentlich vom Aichelberg und vom Burgberg.

Die gegen das Südwestende des Dorfes etwas erhöht stehende, einst befestigte Kirche hat eine höchst merkwürdige Anlage; es gehen nämlich ringsum sie sog. Kemenaten (Kammern), eigentlich Kasematen, die einst schön ausgewölbt waren; sie sind mit Schießscharten versehen und gegen außen von einer zusammenhängenden sehr hohen Mauer umgeben, die sich aus dem ringsum laufenden, einst mit Wasser gefüllten Graben erhebt; über den Graben führte eine Zugbrücke.

An der nördlichen Außenseite dieser Mauer sind Bruchstücke von prächtigen, mit sogenannten Diamantenfrießen besetzten Fensterleibungen romanischen Stils eingemauert, ohne Zweifel die Überreste einer ehemaligen Kirche oder Burg. Die Kirche selbst mit einem im Osten sich erhebenden Thurm, an den sich eine dreiseitige mit Streben besetzte Chornische schließt, mag in einzelnen Theilen noch aus sehr früher Zeit stammen, ist aber so dick übertüncht, daß aus dem Mauerwerk kein Schluß mehr gezogen werden kann. Die Fenster in Schiff und Chor sind spitzbogig und spätgothisch gefüllt, Thurm und Chorschluß von einem Netzgewölb überspannt. Dem Stile nach sind diese Formen gleichzeitig mit der 1476/82 erbauten Liebfrauenkirche. Auf dem Boden liegen einige alte Grabsteine. Der Chor ward im Jahre 1743 vertäfelt, die Orgel 1739 von Siltmann in Straßburg um 234 fl. geliefert. An der nördlich an den Thurm gebauten netzgewölbten Sakristei ist über dem Thürsturz folgende sehr alte, jetzt

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Maulbronn. H. Lindemann, Stuttgart 1870, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMaulbronn0253.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)