Seite:OATuebingen 220.png

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Der Thurm hat in seinen obern Geschossen große Ähnlichkeit mit dem älteren der Marienkirche im nahen Reutlingen; seine Höhe beträgt bis zum Knopf 190′, die Breite 30′. Zwei Schneckenthürmchen an der Süd- und Nordwand des Thurmes, stehen in der Vorhalle der Kirche eingebaut.

In der Schräge des nördlichen Doppelfensters des Thurmes steht eingemeißelt 1468, ganz mit dem Stil übereinstimmend, und ist als Erbauungszeit dieses Stockwerkes anzunehmen. Auf dem Thurme sind 6 Glocken, die kleine auf dem Kranze vom Jahre 1598. Die im Glockenhause hängen in zwei Reihen übereinander; von den zwei unteren ist die östliche die größte, 66 Centner schwer und hat die Inschrift:

o rex glorie XPE veni cum pace. lucas. marcus. matheus. iohes. adam. cr. bodemmer me fecit. ave maria gracia plena dom. tecum. anno dom. MCCCCXI. Die westliche Glocke, 40 Centner schwer, mit Flechtwerk verziert, an dessen Knoten Lilien abwechseln mit dem Tübinger Wappen, hat die Inschrift: durch unser frowen er lit man mich anno domini MCCCCLVIIII. lucas. marcus. matheus. ioannes. und darunter: fulminis emittas cirille vernula cristi. procul sagittas ne nos ledant nece cristi; sie kostete 400 fl.

In der zweiten Reihe hat die größte (westliche) zur Umschrift die vier Evangelistennamen mit der Jahreszahl 1448, die beiden anderen sind aus neuerer Zeit, eine, die sogenannte Taufglocke, gegossen von Johannes Wolf 1716, die andere, die sogenannte Beichtglocke, von 1632.

Das Langhaus, 153′ lang im Lichten, 104′ breit, dreischiffig und mit Kapellenreihen, und wohl- und scharf-gegliederten Pfeilern hatte bis 1866 eine störende flache Decke; und erst in genanntem Jahre ward nach dem ursprünglichen Entwurfe unter der Leitung des Oberbauraths Leins das Mittelschiff beträchtlich erhöht und alle drei Schiffe mit prächtigen, wirksam bemalten Sterngewölben (aus Töpfen) bedeckt, so daß der ganze Raum jetzt einen höchst weiten und großartigen Eindruck macht. Die Länge der ganzen Kirche beträgt 220′.

Die Kirche hat in der Anlage wie in den einzelnen Formen, z. B. in der Bildung der Strebepfeiler und der Schiffpfeiler große Ähnlichkeit mit der Stiftskirche in Stuttgart.

An der westlichen Wand des nördlichen Seitenschiffes sitzt als Gurtträger ein Engel, der zwei Schilde hält, auf dem einen ist das bärtige Brustbild des Baumeisters der Kirche, auf dem andern sein Steinmetzzeichen und die Jahreszahl 1478; unter den Schilden steht: hans augstaindrever stainmecz von wisenstaig.

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_220.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)