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auf der Tübinger Universitätsbibliothek aufbewahrt werden, staunenswerthes Zeugniß, und seine Annales Suevici sind eine vielbenützte Fundgrube für die Geschichte. Nicht minder berühmt war sein jüngerer, ihm geistig überlegener Fachgenosse Nikodemus Frischlin, dessen Andenken uns D. F. Strauß durch eine treffliche Biographie aufgefrischt hat. Frischlin lehrte von 1568–82, und fand 1590, nach unruhigem Wanderleben und vielen Kämpfen auf Hohenurach gefangen gesetzt, durch einen unglücklichen Fluchtversuch seinen frühen Tod. In derselben Zeit wirkte auch einer der ersten Anhänger des kopernikanischen Systems, Michael Mästlin, als Professor der Mathematik und Astronomie. Einer seiner zahlreichen Schüler war der später so berühmt gewordene Johannes Kepler, der in den Jahren 1589–93 als Zögling des evangelischen Seminars in Tübingen studirte, und fortwährend mit seinem ehemaligen Lehrer in freundschaftlichem Verkehre blieb. Das evangelische Seminar gewann um jene Zeit immer weitere Ausdehnung; da die bisher festgesetzte Zahl von 100 Zöglingen für den württembergischen Kirchendienst nicht mehr ausreichen wollte, wurde sie auf 150 erhöht, und auch für 10 Mömpelgarder Studenten der Theologie, die mit den Württembergern zusammen wohnen sollten, wurde eine weitere Stiftung gemacht. Diese Vermehrung der Zöglinge machte eine Vergrößerung des Augustinerklosters nöthig, in welchem das Seminar seit 1548 seine Unterkunft gefunden hatte. Die Studienleitung des Seminars wurde durch sechs ältere Zöglinge, welche ihren Kursus absolvirt hatten und unter dem Titel Repetenten in bevorzugter Stellung Kost und Wohnung im Seminar hatten, besorgt; außer diesen hatten vier andere Magister „so gute Ingenia und feine Judicia haben“ das Recht, ihre Studien bis zum Doktorgrad fortzusetzen und so lange im Stipendium zu bleiben, ohne für den Kirchendienst in Anspruch genommen zu werden, was später dahin modificirt wurde, daß für solche die zwei Diakonate in Tübingen und 6 der benachbarten Pfarreien vorbehalten werden sollten, um in der Nähe der Universität die wissenschaftlichen Studien fortsetzen zu können. Die Blüthe des evangelischen Seminars hatte bei Herzog Christoph den Gedanken angeregt, eine ähnliche Anstalt für Staatsdiener zu errichten, in welcher Söhne des Landadels, durch Stipendien unterstützt, zusammen wohnen sollten. Es wurde hiezu das alte Franziskanerkloster in der unteren Stadt zur Verfügung gestellt, unter Herzog Ludwig aber, der den Plan seines Vaters in größerem Stile ausführen wollte, an der Stelle des alten baufälligen Klosters ein neues stattliches Gebäude

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_283.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)