Seite:Reventlow Werke 0527.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Oder wenn das nicht ging, als Schiffsjunge verkleidet zur See gehen; kein Mensch hielt sie für ein Mädchen, wenn sie Detlevs Kleider anhatte.

„Ellens Vogelbauer,“ sagte der Bruder überlegen, wenn sie so sprach und dann lachten die beiden Jungen sie aus. Ellen arbeitete nun schon seit mindestens zwei Jahren daran, einen ungeheuren Käfig für ihre Kanarienvögel zu bauen, der immer wieder mißlang, und jedesmal versuchte sie es dann auf andere Weise. Einmal hatte sie schon einen zustande gebracht aus zerspaltenen Zigarrenkisten, aber es war so dunkel darin, daß die Vögel melancholisch wurden und nicht mehr sangen. Und nun hatte sie natürlich wieder einen neuen angefangen.

„Du hast gut reden,“ sagte Ellen geärgert, denn Detlev wollte Philosoph werden und große Werke schreiben. Das war in ihren Augen kein Kunststück, und sie fand es sehr langweilig.

Die Herbsttage kamen, im Garten wurde es feucht, alles versank in welken Blättern, und der Sturm riß große Äste von den Bäumen. Die Kinder gingen nur noch engumschlungen und waren traurig — ihnen war zumut, als ob eines von ihnen sterben sollte. An Geerds letztem Tage rissen sie die Hütten und den Mohutempel nieder und versenkten ihren Götzen in den Graben — mit bittrer Wehmut — was sollte das alles jetzt noch? Und dabei kam es ihnen vor, als ob sie seit dem letzten Jahr unendlich viel älter geworden wären.

Gegen Abend gingen sie zusammen hinauf, um Geerds Sachen aus der Kinderstube zu holen. Während Detlev noch im Zimmer kramte, standen die beiden andern Hand in Hand auf der Diele neben der großen Stehuhr, die immer so unheimlich laut tickte und beim Schlagen wie ein Uhu heulte. Es war schon halbdunkel. Ellen sah nur Geerds weißen Strohhut und seine weiten, schwarzen Augen, sie sehnte sich heimlich danach, ihm um den Hals zu fallen und ihn viele Male zu küssen, fand aber nicht den Mut dazu. Dann kam Detlev und sie begleiteten ihren Freund zum letztenmal durch den dunklen

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0527.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)