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des Christentums zu erzählen, dann kamen die einzelnen Gebote und ihre Beziehung auf das Leben — der ganze schwerwiegende Ernst, der in all den Drohungen und Verheißungen lag — Gottes Zorn und Gottes Gnade. Als die Sünde wider den heiligen Geist besprochen wurde — die Sünde des Gläubigen, der mit vollem Bewußtsein die Gnade verscherzt, die furchtbarste, äußerste Sünde, für die keine Vergebung ist, folgten sie angstvoll jedem seiner Worte und zitterten bis in die tiefste Seele hinein unter demselben Gedanken: und wenn nun ich sie begangen hätte?

Sie sollten nun bald zum erstenmal an den Altar Gottes treten und davor stand das Wort: Wer aber unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber das Gericht. Wie ein Schauer lief es durch die Reihe der zwölf jungen Mädchen, die andächtig auf ihrer Schulbank saßen, und zugleich lag ein mächtiger Reiz darin, schuldvoll und niedergeschlagen vor diesem Mann dazustehen, der ihnen bis ins tiefste Innere schauen konnte und wußte, was Sünde war.

Für Ellen war der Pfarrer von allen Vorgesetzten der einzige, zu dem sie Vertrauen hatte. Er bekam alles zu wissen, was man tat, und wie oft hatte sie ihm schon nach der Stunde in den großen Saal folgen müssen, um eine Vermahnung zu bekommen, aber er schalt nicht, suchte sie nicht zu beschämen oder zu demütigen wie die Pröpstin, er fand jedesmal ein gutes Wort und ein verstehendes Lächeln. Dafür war Ellen auch in seinen Stunden die Aufmerksamkeit selbst und lernte die längsten Psalmen auswendig, um ihm Freude zu machen.

Mit Editha war sie immer noch viel zusammen und schwärmte sie in namenloser Hingebung an. Sie hatte das Herz voller Anbetung und den Kopf voller Verse, bei Tisch, in den Stunden und abends im Bett, immer fand sie wieder neue Reime zusammen, um die Freundin zu besingen. Editha war die Schönste, die Beste, die Unvergleichliche. Wenn sie abends im Schlafsaal das Haar aufmachte, hing es wie ein dichter Mantel um sie her, die Brauen lagen gleich zwei breiten, schwarzen Strichen über den

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0540.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)