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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog

die gelegenheit gehabt. Ein besonderes band des συμφιλολογεῖν zwischen den genannten und anderen begeisterten jüngern der alterthumswissenschaft war ihre „philologische gesellschaft“, in welcher lateinisch vorgetragen, disputirt und protokollirt wurde und die studien sich namentlich die Fragmente der Cykliker und der Hesiodeischen gedichte als ein feld gründlicher durcharbeitung gewählt hatten; die öftere theilnahme Otfried Müllers an ihren sitzungen verlieh diesen erhöhten werth. Eine verbindung mit der kritischen methode Gottfried Hermanns stellte sich 1828 durch den eintritt des trefflichen und für mathematik und sprachwissenschaft gleich hoch begabten Adolf Emperius aus Braunschweig, eines schülers des Leipziger altmeisters, her, ohne dass die sonstige antipolarität des Göttinger und des Leipziger schulhauptes in die bestrebungen der schüler ihren schatten warf. Eine frucht gerade der in der philol. gesellschaft gepflegten studien war E. v. Leutsch’s erstlingsschrift „Thebaidos cyclicae reliquiae“, mit welcher er am 7. april 1830 promovierte; eine anknüpfung an sie war es auch noch, wenn Leutsch[1] noch in den siebenziger jahren den Orion Thebanus den übungen des philol. seminars zu grunde legte. Das Göttinger philol. studium ergänzte Leutsch durch einen einjährigen aufenthalt in Berlin, 1830–1831, in dem er dem grossen A. Böckh, namentlich durch eifrige hingebung an dessen metrisches system, nahe trat. Wie Leutsch zeitlebens eine glühende verehrung für die coryphäen der philologischen wissenschaft in ihrer individuellen besonderheit empfand, so hat er noch in seinen letzten lebensjahren Immanuel Bekker und A. Böckh in zwei kürzeren, aber liebevollen monographieen ein schönes denkmal gesetzt. Am 2. mai 1831 habilitirte sich Leutsch als privatdocent der philologie in Göttingen. Die nicht weniger als 60 thesen, welche er am 6. juli 1833 vertheidigte, nach welcher akademischen amtshandlung er zum „assessor“ der philos. facultät aufstieg, zeigten einen grossen studienumfang des jungen gelehrten in den griech. und lat. schriftstellern; sonst hatten sie mit zahlreichen solcher thesen den gleichen charakter, dass nicht überall das bedürfniss der objectiven wahrheit mit dem bestreben, in die werkstatt der subjectiven forschungslust einen einblick zu gewähren, völlig ausgeglichen ist.

Nach einem privatdocententhum von mittlerer dauer wurde Leutsch am 2. mai 1837 ausserordentlicher professor und noch in demselben jahre nach Dissen’s am 25. sept. eingetretenem tode mitdirigent des philol. seminars. Die bekannten politischen wirren, welche in jenem jahre der thronbesteigung Ernst August’s, des ersten

  1. So will ich ihn im einklange mit der gewohnheit des mündlichen sprachgebrauchs fortan nennen. Seinen adel schien er ohne jeden dünkel, doch nicht ohne stillen stolz auf die lange reihe seiner ahnen zu führen, von denen einzelne schöne alte gemälde seine gesellschaftsräume schmückten.
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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog. Göttingen: Dieterich'sche Verlagshandlung, 1888, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schneidewin_Leutsch_02.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)