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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog

herzens für die alma mater entgegen, als einer der sehr wenigen professoren, die schon mitbetheiligte zeugen der grossen und unvergesslichen jubelfeier von 1837 gewesen waren, bei welcher ein kranz der hervorragendsten deutschen gelehrten, speciell auch von philologen, durch ihre gegenwart die festlichen tage in der Leinestadt verherrlicht hatten, wie denn auch der entschluss alljährlicher philologenversammlungen der damaligen vereinigung der trefflichsten dieser wissenschaft entsprungen war. Leutsch hatte schon mannigfache persönliche einladungen zu dem 1887er feste an wissenschaftliche freunde in der ferne erlassen und traf in seinem gastlichen hause vorkehrungen für deren aufnahme, als ihn ganz kurz vor dem anbruch der akademischen festtage unerwartet der tod abrief. Seine letzten lebensjahre waren durch ein schweres augenleiden getrübt, welches ihn der erblindung nahe brachte. Zwei, mit längerem aufenthalt im hospital verbundene operationen schufen nur geringe hülfe; nach der dritten, im märz 1887 vorgenommenen, wurde ich plötzlich durch die seit fünf jahren nur in der unterschrift seiner dictate gesehene handschrift Leutsch’s auf einem briefcouvert freudig überrascht, der ganze brief war von seiner hand, und er konnte wieder ganz gut sehen; jedoch kehrte er immerhin bald zu dem ihm gewohnt gewordenen dictiren schriftlicher mittheilungen zurück. Am 28. juli desselben jahres starb er plötzlich an einem binnen einer halben stunde sich zweimal wiederholenden schlaganfall, der ganz unerwartet zu einem an sich leichteren leiden der letztvorhergehenden woche hinzugetreten war. Soeben hatte ihn noch einer seiner treusten und ergebensten schüler, der jetzige professor Carl Müller am gymnasium in Kiel, auf dem krankenlager, aber bei guter laune verlassen. Leutsch war in den letzten jahren recht vereinsamt gewesen; aus Göttingen, so sagte er mir einmal, bekäme er wohl über München einmal etwas zu hören; treue besucher waren dem greise noch prof. Hentze, landrichter H. Thöl und bis zu seinem übergang nach Tübingen geheimjustizrath prof. Gustav Hartmann; frl. H. v. Bobers und seine liebenswürdige gehülfin durch vorlesen und schreiben, frl. E. Wöhler, die tochter des berühmten chemikers, deren mit Leutsch gemeinschaftliche arbeit auch die übersetzung von Jebb’s schöner biographie Bentley’s ist. Leutsch liegt bestattet auf dem neuen kirchhofe bei „der alten linde“ unweit Grone, neben dem ausgezeichneten anatom Henle, gleich am eingange des gottesackers. Sein testament lautete zu gunsten der universität Göttingen, doch hat diese die annahme desselben jetzt definitiv ausgeschlagen, in dem gefühl, dass blutsverwandte, welche in geschwisterkindern Leutsch’s vorhanden sind, ein natürliches näheres anrecht hätten. Das vermögen war nicht bedeutend, ganz wundervoll dagegen seine bibliothek, gewiss eine der umfangreichsten und wohlgeordnetsten

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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog. Göttingen: Dieterich'sche Verlagshandlung, 1888, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schneidewin_Leutsch_05.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)