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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog

voll treue und gewissenhaftigkeit, insbesondere in der berathuug jugendlicher freunde, in der theilnahme an den geschicken nahe stehender familien, in der leitung der lebenswege seiner mündel, die ihm unauslöschlichen dank bewahren. Ganz besonders stach in seinem charakter hervor wahrhaftigkeit und freimüthigkeit. Die studentische jugendlichkeit hat es ihm wohl verübelt, wenn der einzelne bei einem hausbesuche eine offene, unliebsame kritik seines studienbetriebes erfuhr, aber redlichstes meinen lag dem doch zu grunde und die höchst vernünftige anschauung, dass der zwanzigjährige gegen ein ehrliches wort gereifter männlichkeit nicht verschlossen sein darf. Mir dünkt es doch wünschenswert, dass die autorität und gesinnung der akademischen lehrer sich über der studentischen freiheit der noch vor kurzem aus der straffen gymnasialen zucht entlassenen akademischen jugend in einer an die freie einsicht derselben erfolgreich appellirenden weise geltend macht. Eine dem widerstrebende gesinnung der jugend lässt sich nicht besser bezeichnen als mit dem Platonischen (Gorg. 527 D) νεανιευέσθαι ὡς τὶ ὄντας, dessen vernünftige, sittlich autonome, von unten ausgehende einschränkung der innere quell sein müsste, aus dem heraus sich unser universitätsleben aus seinen ihm unleugbar anhaftenden übelständen zu befreien hätte. Uebrigens zeigte Leutsch – wie ich gelegenheit hatte aus symptomen zu schliessen – auch in der vertretung seiner überzeugung seinen collegen gegenüber in der facultät edlen mannesmuth und war dem zustande, wo ein einzelner unter gleichgestellten dominirt, von herzen abhold. Seine charakterbildung ruhte auf dem grunde gläubigen christenthums, welches er auch zeitlebens durch treues sichhalten zur kirche bewährt hat. Von völliger wissenschaftlicher freiheit war er auf diesem gebiete nicht erfasst. Einfache, praktische predigten liebte er am meisten und bezog deren inhalt höchst persönlich auf den eigenen seelenzustand, in dem schönen bestreben, stets „an der besserung seines herzens zu arbeiten“, wie es ein jedem deutschen theurer mund in seiner unvergleichlichen schlichtheit ausgedrückt hat.

Die allerwichtigste grundlage für die gelehrte wie für jede thätigkeit und tüchtigkeit ist die körperliche gesundheit. Leutsch lebte stets mit aufmerksamer berücksichtigung derselben, war regelmässiger spaziergänger und liebte besonders kalte schwimmbäder im offenen flusse bis in sein alter. In der jugend war er auch reiter gewesen und hatte die ferienreisen von Göttingen nach Celle und umgekehrt meist zu pferde zurückgelegt, mit nachtquartier in Elze. Dass er als junger professor auch wohl tanzdirector auf den bällen des litterar. museums gewesen war und der Terpsichore mit leidenschaft gehuldigt hatte, klang uns schon anfang der funfziger jahre, wo der hagestolz einerseits und der zurückgezogene gelehrte andrerseits die beiden fest ausgeprägten seiten seiner erscheinung

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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog. Göttingen: Dieterich'sche Verlagshandlung, 1888, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schneidewin_Leutsch_10.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)