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bedrängter Zeit gemachten Versprechungen und erregten Hoffnungen zu erinnern. Auch im Frühling 1848 hatte sich bereits eine Studentenversammlung dort eingefunden, ohne jedoch bestimmte Resultate ihrer Verhandlungen zu hinterlassen. Der Zweck unseres Studentenkongresses im September nun bestand hauptsächlich in der Bildung einer nationalen Organisation der deutschen Studentenschaften mit einem Vorort, um gemeinsames Auftreten und Handeln gelegentlich zu erleichtern. Dann sollten auch allerlei Reformen zur Sprache kommen, die auf den Universitäten nötig seien, von denen jedoch, soviel ich mich erinnern kann, niemand sich ganz klare Rechenschaft geben konnte. Wir hielten unsere Sitzungen in dem Saale der „Klemda“, einem Vergnügungsort, wo wir uns parlamentarisch organisierten, so daß das Reden in aller Ordnung vor sich gehen konnte. An oratorischen Leistungen fehlte es denn auch keineswegs. Da fast alle deutschen Universitäten, die österreichischen eingeschlossen, Deputierte zu diesem Studentenkongreß geschickt hatten, so war die Versammlung recht zahlreich und enthielt viele junge Leute von ungewöhnlicher Begabung. Diejenigen, die vor allen anderen die Aufmerksamkeit der Versammlung sowie des Publikums auf sich zogen, waren die Wiener, von denen sich neun oder zehn eingefunden hatten. Sie erschienen alle in der schmucken Uniform der damals weitberühmten „akademischen Legion“ – schwarze Filzhüte mit Straußenfedern; dunkelblaue Röcke mit einer Reihe schwarzer glänzender Knöpfe; schwarz-rot-goldene Schärpen; hellgraue Hosen; Schleppsäbel mit stählernem durchbrochenem Korbgriff; silbergraue Radmäntel mit Rot gefüttert. Diese Uniform war überaus kleidsam und hatte etwas Ritterliches. Auch schien man in Wien darauf bedacht gewesen zu sein, die hübschesten Leute für den Studentenkongreß auszuwählen; wenigstens waren diese Deputierten fast alle junge Männer von auffallender Schönheit, hochgewachsen und bärtig, meist etwas älter als wir andern. Als die Bürger von Eisenach, die uns überhaupt mit der herzlichsten Freundlichkeit empfangen hatten, uns einen Ball gaben, schien alle Konkurrenz mit den Wienern um die Gunst des schönen Geschlechts vergeblich. Die Wiener zeichneten sich auch keineswegs nur durch ihre äußere Erscheinung aus. Sie hatten bereits eine Geschichte, die sie zum Gegenstande allgemeinen Interesses machte und in hohem Grade an die Phantasie appellierte.

Obgleich in mehreren Universitätsstädten die Studenten bei dem ersten Ausbruch der revolutionären Bewegung mehr oder minder in den Vordergrund getreten waren, so hatten sie doch nirgendwo eine so hervorragende und wichtige Rolle gespielt wie in Wien. Ihnen war in großem Maße die Erhebung zu verdanken, die den Fürsten Metternich stürzte. Sie, als „akademische Legion“ organisiert, die, wenn ich nicht irre, gegen 6000 Mann zählte, bildeten den Kern der bewaffneten Macht der Revolution. In dem „Zentralkomitee“, das aus einer gleichen Anzahl von Studenten und Mitgliedern der Bürgergarde bestand, und das den Volkswillen der Regierung gegenüber geltend machte, übten sie den entscheidenden Einfluß aus. Von allen Teilen des Landes her kamen Deputationen von Bürgern und Bauern, um der „Aula“, dem Hauptquartier der Studenten, dieser plötzlich erstandenen und im Volksglauben

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 097. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s097.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)