Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s127.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zu tun war als um wildes Kriegsgetümmel. Auch konnte er das sehr wenige, das er zu sagen hatte, auf Deutsch kaum oder gar nicht verständlich machen. Das Feld der Wirksamkeit, auf welches er sich versetzt sah, war ihm wildfremd. Seine Leistungen als Organisator des Volksheeres bestanden hauptsächlich darin, daß er die Tätigkeit der Militärkommission behinderte. Die Folge war, daß, während die provisorische Regierung es an Aufrufen, Verordnungen und Befehlen nicht fehlen ließ, die meisten davon ohne Ausführung blieben. Nach etwa sechswöchentlicher Arbeit hatte man in der Pfalz nicht mehr als 7–8000 Mann zum großen Teil schlecht bewaffneter und durchaus schlecht disziplinierter Truppen.

In Baden war man viel besser bestellt. Die gesamte Infanterie und Artillerie sowie der größte Teil der Kavallerie des Großherzogtums Baden hatten sich der Volksbewegung angeschlossen und präsentierten ein wohlausgerüstetes Armeekorps von etwa 15000 Mann. Zugleich war die Festung Rastatt mit ihren Waffen-, Munitions- und Montierungsvorräten in die Hände der Aufständischen gefallen. Neugebildete Organisationen konnten also bequem mit dem Nötigen versehen werden, und so hätte sich dort ohne allzu große Schwierigkeit eine mehr oder minder schlagfähige Armee von 40–50000 Mann herstellen lassen. Freilich hatten sich, mit wenigen Ausnahmen, die Offiziere zum Großherzog gehalten und von ihren Truppen getrennt. Aber ihre Stellen waren mit avancierten Unteroffizieren besetzt worden, und unter diesen gab es tüchtige Leute in hinreichender Anzahl, um unter den Liniensoldaten die Disziplin einigermaßen aufrecht zu halten. So erschien denn der badische Aufstand in ziemlich stattlicher Rüstung.

Aber die pfälzischen und badischen Führer hätten von vornherein mit der Tatsache rechnen müssen, daß die äußerste Anstrengung der Kräfte der beiden kleinen Länder nicht hinreichen konnte, der vereinigten Macht der deutschen Fürsten, oder selbst Preußen allein, die Spitze zu bieten. Es gab keine Hoffnung des Erfolges, wenn sich nicht die Volkserhebung über Baden und die Pfalz hinaus auf das übrige Deutschland ausbreitete. Zu diesem Ende hätten die beiden provisorischen Regierungen alle nur einigermaßen marschfähigen Leute über die Grenzen werfen sollen, um die Truppen und die Bevölkerung der benachbarten Staaten, zuerst die von Hessen und Württemberg, in die aufständische Bewegung hineinzuziehen und, im Falle des Gelingens, auf dieselbe Weise immer weiter vorzudringen. Ein junger badischer Offizier, Franz Sigel, der von der provisorischen Regierung zum Major avanciert worden war, erkannte dies klar genug und riet zur Invasion von Württemberg. Die provisorische Regierung erlaubte ihm eine Bewegung auf hessisches Gebiet mit schwachen Kräften. Aber er wurde bald zurückbefohlen. Zu einem offensiven, propagandistischen Vorgehen konnten sich die provisorischen Regierungen von Baden und der Pfalz nicht entschließen. Sie sahen nicht, daß defensives Erwarten der feindlichen Streitkräfte die unfehlbare Niederlage der Volkstruppen und das totale Fehlschlagen der Erhebung bedeutete. Sie klammerten sich noch immer an die Hoffnung, daß die preußische Regierung doch noch im letzten Augenblick von einem tatsächlichen Angriff auf die Verteidiger der Reichsverfassung

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s127.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)