Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s154.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

er sie liebe. Sie antwortete, er möge sie mit seinen schlechten Späßen in Ruhe lassen; aber er merkte vielleicht, daß sie wirklich nicht in Ruhe gelassen sein wollte, und so fuhr er fort, dasselbe Thema in allerlei kühnen und blumenreichen Redewendungen zu variieren. Endlich schien sie denn auch geneigt, alles zu glauben, was er ihr sagte. Gerne würden wir gelacht haben, hätten wir lachen dürfen. Als aber dieses sonst so interessante Gespräch gar kein Ende nehmen wollte, fing ich an besorgt zu werden, es möge bis Mitternacht dauern, und so werde uns die Husarenliebe einen bedenklichen Strich durch die Rechnung machen. Es war uns also eine große Erleichterung, als das Paar endlich gegen zehn Uhr davonging, und wir wünschten ihm den Segen des Himmels.

Nun zählten wir die Minuten, da der entscheidende Augenblick nahte. Mit dem Glockenschlage elf kroch Neustädter aus der Öffnung in der Plankenwand, trat auf das aufgeschichtete Brennholz und erreichte mit einem leichten Sprung den Boden. Ich folgte ihm. Meine Beine waren durch das viertägige, bewegungslose Liegen sehr steif geworden, und als ich meinen Fuß auf den Holzhaufen setzte, fielen mehrere Scheite mit großem Geräusch zur Erde. Einen Augenblick später hörte ich in geringer Entfernung den Tritt einer Patrouille. Ich hatte noch eben Zeit, meinem treuen Adam zuzuflüstern, daß er zurückbleiben solle, bis die Patrouille vorübergegangen sei, um uns dann zu folgen. Es gelang mir, zur Erde zu springen und mich zu verbergen, ehe die Patrouille um die Gasse bog. Ich fand Neustädter in dem Häuschen und Adam kam nach einigen Minuten. „Die Patrouille ging ruhig vorüber“, sagte er. „Im Schuppen wurde so laut geschnarcht, daß man kaum ein anderes Geräusch hören konnte.“

Die Frau unseres Freundes in dem Häuschen hatte eine köstliche Rindfleischsuppe mit Reis für uns bereit. Nachdem diese, das gesottene Fleisch und gebratene Kartoffeln unsere Kräfte gestärkt, machten wir uns auf den Weg durch die Gärten nach dem Kanal. Es war eine helle Mondnacht und wir hielten uns vorsichtig im Schatten der Hecken, um nicht gesehen zu werden. Dies gelang, bis wir an dem Graben hart bei der Mündung des Kanals ankamen. Da erwartete uns ein neuer Schrecken. Ein Wachtposten marschierte auf und ab jenseits der Mündung, kaum dreißig Schritt davon entfernt. Wir hielten an und duckten uns hinter der Hecke. Hier war nur eins zu tun. Wie der Mann uns den Rücken kehrte und nach der andern Seite ging, schlüpfte einer von uns vorsichtig in den Kanal. Die beiden anderen gerade so nachher. In wenigen Minuten waren wir dort versammelt. Wir krochen behutsam vorwärts und stießen auch wieder auf unsere alte Bank, wo wir ein wenig ausruhten. Dann unseren Weg verfolgend, fanden wir das Gitter in seinem alten Zustande, krochen durch und sahen bald vor uns einen hellen Schein durch dunkles Blätterwerk dringend, der uns zeigte, daß der Ausgang ins Feld vor uns lag. Wir standen nochmals still, um unsere Pistolen fertig zu machen – ob sie nach der Durchnässung hätten abgefeuert werden können, ist fraglich –, denn nach allem, was wir gelitten, waren wir nun nötigenfalls zum Äußersten entschlossen, um uns den Weg zu bahnen. Aber der Ausgang war frei, die Postenkette verschwunden. Das Welschkornfeld lag vor uns. Ein leiser Pfiff von

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s154.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)