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Siebentes Kapitel.

Als Flüchtling in der Schweiz.

Von Selz nach Straßburg wanderten wir zu Fuß. Es war ein herrlicher Sommersonntag. Eine Zeitlang konnten wir von unserer Straße aus die Türme von Rastatt in der Ferne sehen. Der Anblick des großen Gefängnisses, dem wir entkommen, würde das Vollgefühl unserer Freiheit zu lustigem Übermut entfesselt haben, hätte uns nicht der Gedanke an die unglücklichen Freunde gedrückt, die dort, eines dunklen Schicksals harrend, in der Gewalt ihrer Feinde saßen. Da wir noch unsere Uniformen trugen – andere Kleider hatten wir nicht –, so wurden wir in den elsässischen Dörfern, durch die uns unsere Straße führte, sofort als flüchtige deutsche Revolutionssoldaten erkannt und nicht selten von den Dorfleuten angehalten, die mit wohlwollender Neugier wissen wollten, wie wir davongekommen seien. So gab es denn mehrfache Rasten mit Wein und Imbiß und lustigen Gesprächen, bis wir spät abends Straßburg erreichten. Dort kehrten wir im „Rebstöck’l“ ein, einem Gasthaus, dessen Wirt wegen seiner deutschen Sympathien weit bekannt war. Er nahm uns äußerst freundlich auf und pflegte uns, nachdem er die Hauptzüge unserer Geschichte gehört, mit besonderer Sorge. Am nächsten Tage hatten wir uns mit unserm Laufpaß beim Präfekten zu melden. Dieser eröffnete uns, daß die französische Regierung beschlossen habe, die Flüchtlinge zu „internieren“; es sei daher weder in Straßburg noch irgendwo anders in der Nähe der Grenze lange unseres Bleibens; wir müßten so bald wie möglich zwischen einigen Städten im Innern Frankreichs, die er uns nannte, unsere Auswahl treffen, um dahin befördert zu werden; auch nach der Schweiz könne er uns keine Pässe geben. Aber gerade nach der Schweiz wollten wir und beschlossen daher insgeheim, auch ohne obrigkeitliche Bewilligung, dahin unsere Reise fortzusetzen.

Es war unterdessen die Nachricht angelangt, daß die pfälzischen und badischen Soldaten und Volkswehrmänner, die in die Hände der Preußen gefallen waren, und die sich nichts anderes als bloßen Dienst in der Revolutionsarmee hatten zuschulden kommen lassen, ohne weitere Strafe nach Hause geschickt werden sollten. Nur die Offiziere und sonstige besondere Übeltäter wurden zurückbehalten. Es stand also der Rückkehr Adams in seine Heimat nichts mehr entgegen, und ich ermahnte ihn, er solle diese Möglichkeit sofort benutzen. Adam drückte mir noch einmal seine Anhänglichkeit aus, an der ich gewiß keine Ursache hatte zu zweifeln. Aber er sah doch ein, daß mein Rat gut war, und entschloß sich, ohne Verzug zu den Seinigen in der Pfalz zurückzuwandern. Ich gab ihm einen Teil meiner Barschaft, und wir schieden voneinander mit aufrichtiger Rührung und mit dem Versprechen, gelegentlich einander zu schreiben. Erst als Adam schon fort war, fiel mir ein, daß ich seinen Familiennamen nie gekannt hatte, so daß ich ihm nicht schreiben konnte; und ich habe von meinem braven Gefährten seit jenem Abschiedstage auch nie wieder gehört.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s158.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)