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Nachdem ich einige Stunden damit zugebracht hatte, das Straßburger Münster zu beschauen, rüsteten Neustädter und ich uns zur Abreise. Wir kauften uns leichte Staubröcke, die wir über unsere badischen Uniformen tragen konnten, und nahmen dann einen Eisenbahnzug nach Basel, stiegen aber, kurz ehe wir die Schweizer Grenze erreichten, an einer Wegestation aus, deren Namen ich vergessen habe. Es war gegen Abend. Wir gingen in das nahe Dorf und fanden ein kleines Wirtshaus, durch dessen offene Tür wir eine Frau am Herde beschäftigt sahen. Wir traten ein und fragten die Frau, ob sie uns zu essen geben könne, und aus langen Verhandlungen, ihrerseits in der uns schwer verständlichen elsässischen Mundart geführt, ging hervor, daß sie uns wohl einen Eierkuchen mit Speck zu bieten imstande sei. Während der Kuchen in der Pfanne zischte und duftete, trat der Wirt ein. Sein biederer Gesichtsausdruck erweckte Vertrauen, und ich hielt es für das beste, ihn offen mit unserer Lage bekannt zu machen, sowie mit unserm Wunsche, die Grenze der Schweiz zu passieren, ohne auf einen Beamten zu stoßen, der uns nach einem Paß oder einer sonstigen Legitimation fragen möchte. Das lebhafte Interesse und die genaue Sachkenntnis, die der Wirt uns entwickelte, ließen vermuten, daß dem Biedermann die Schleichwege der Grenzschmuggler durchaus nicht fremd seien. Nach eingetretener Dunkelheit begleitete er uns eine Strecke und gab uns dann eine sehr klare Beschreibung der Fußpfade, auf denen wir alle Grenzwächter vermeiden und nach nicht gar langer Wanderung das schweizerische Dörfchen Schönebühl erreichen würden. Dort bezeichnete er uns eine am Wege stehende Scheune, die wir wahrscheinlich offen finden, und in der wir uns auf gutem Heulager bis zum Morgen würden ausruhen können. Genau folgten wir seinen Anweisungen, und es mochte etwa Mitternacht sein, als wir uns in der bezeichneten Scheune auf duftigem Heulager zum Schlafe ausstreckten.

Mit Sonnenaufgang waren wir wieder auf den Füßen und erfragten uns von den Bauern, die zu ihrer Arbeit gingen, den Weg nach Bern, - denn ich hatte in Straßburg erfahren, daß Anneke und die übrigen Freunde, denen ich mich anschließen wollte, sich in Bern aufhielten. Die Straße führte uns zuerst durch fruchtbare Talgründe. Es war ein sonniger Tag. Die Felder wimmelten von Landleuten, mit der Ernte beschäftigt. Ich erinnere mich noch deutlich der Empfindungen, die mich auf jenem Marsche bewegten. Ich freute mich an dem Bilde heitern Friedens, aber immer stieg mir wieder der Gedanke auf: „Wie viel glücklicher sind doch diese da als du. Wenn sie ihre schwere Arbeit getan haben, so kehren sie nach Hause zurück. Sie haben eine Heimat; du hast keine mehr.“ Ich konnte diese trüben Reflexionen nicht los werden, bis wir ins Münstertal eintraten, jenen großartig wilden Spalt im Juragebirge, den eine gewaltige Erdrevolution aufgerissen zu haben schien. Nachdem wir geruht, konnte ich das Verlangen nicht bezähmen, sogleich die Alpen zu sehen. So stiegen wir denn jenseits von Moutiers den etwa 4000 Fuß hohen Monto hinauf, und da stand dann in klarer Ferne die wunderbare Erhabenheit der Schneehäupter vor uns. Es war mir ein seltsam stärkender, ermutigender Anblick.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s159.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)