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lag wie eine dunkle Wolke vor mir. Ich bildete mir zuletzt ein, ich sei ernstlich krank, und brachte den größten Teil des Tages in halbträumenden Zustande auf dem Bette liegend zu. Ich mochte wohl zehn Tage lang in Dornachbruck gewesen sein, als ich eines Morgens eine auffallend laute Stimme auf dem Hausflur meinen Namen nennen hörte. „Das ist ja der leibhaftige Strodtmann!“ rief ich aus, indem ich vom Bette aufsprang. Er war es in der Tat, und im nächsten Augenblicke stand er vor mir. Er war von Bonn herangereist, um mir einen Brief von meinen Eltern und Dutzende von meinen Universitätsfreunden zu bringen; auch einen Beutel voll Geld, und was ich sonst bedurfte. Mein Entkommen aus Rastatt hatte in Bonn die freudigste Aufregung hervorgebracht, die in den Briefen sehr lebhaften Ausdruck fand, und von der mir Strodtmann nicht genug erzählen konnte. Nun war meine elegische Stimmung auf einmal verschwunden. Ich fühlte mich plötzlich wieder vollkommen wohl; und nachdem wir unser Wiedersehen mit der besten Mahlzeit, die das Gasthaus in Dornachbruck leisten konnte – Strodtmann war nämlich ein Feinschmecker –, passend gefeiert hatten, beschlossen wir, am nächsten Tage unsere Reise nach Zürich anzutreten, wo Strodtmann einige Zeit bei mir zu bleiben versprach.

So zogen wir denn los in lustiger Studentenweise, kehrten häufig ein und wanderten wieder vorwärts mit gesteigerter Heiterkeit. An der Aar, im Angesicht der Ruine Habsburg, nicht weit von dem Fleck, wo vor Jahrhunderten Kaiser Albrecht von Johann von Schwaben erschlagen worden war, lagerten wir uns ins Gras, verloren uns in geschichtlichen Betrachtungen und poetischen Ergüssen und schliefen ein. Es war Abend, als ein schweizerischer Gendarm uns weckte. Wir fanden im nächsten Wirtshaus Nachtquartier, und am Tag darauf nahmen wir Plätze auf der Postkutsche nach Zürich, da es uns anständiger schien, so dort anzukommen, und da unser Kassenbestand uns solchen Luxus erlaubte. Das war meine letzte Studentenfahrt. Als wir nun oben auf der Kutsche sitzend in Zürich einfuhren – was sollte ich sehen? Da standen am Halteplatz des Postwagens, als hätten sie meine Ankunft erwartet, Anneke, Techow, Schimmelpfennig und Beust, die Freunde, die ich so lange auf meiner Irrfahrt gesucht. Aber ihre Überraschung war nicht geringer als die meinige. Als ich so plötzlich unter sie sprang, trauten sie ihren Augen nicht. Von meinem Entkommen aus Rastatt hatten sie in der Schweiz nichts vernommen. Auch hatten sie meinen Namen nicht in den Zeitungen gefunden, die über die in Rastatt gefangenen Revolutionsoffiziere berichteten. Von niemand hatten sie über mich Nachricht empfangen. So hatten sie dann geglaubt, ich sei auf irgendeine Weise verloren gegangen, vielleicht im letzten Gefecht, vielleicht bei einem Versuch, durch die preußischen Linien zu dringen. Als sie mich nun lebendig und in unzweifelhafter Gestalt vor sich sahen, war der Ausrufe des Erstaunens kein Ende.

Sogleich wurde für meine Einrichtung gesorgt. Ehe es Abend wurde, hatte ich schon ein kleines Schlafzimmer bei der Bäckerswitwe Landolt im Dorfe Enge, einer kleinen Vorstadt von Zürich, gemietet mit dem Recht, einen anstoßenden großen mit einem langen Tisch und

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)