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zur Aufhebung überreicht. Allerhöchstdieselben haben jedoch aus Gnaden die Bestätigung des Erkenntnisses mit der Maßgabe zu befehlen geruht, daß der p. Kinkel die Festungsstrafe in einer Zivilanstalt verbüße. Diesem allerhöchsten Befehl gemäß ist von mir das kriegsgerichtliche Erkenntnis dahin bestätigt, daß der p. Kinkel wegen Kriegsverrats mit dem Verlust der preußischen Nationalkokarde und einer zu verbüßenden Festungsstrafe zu bestrafen, und zum Vollzug des Erkenntnisses die Abführung des Verurteilten nach dem Zuchthause angeordnet worden, was hiermit zur öffentlichen Kenntnis gebracht wird.

Hauptquartier Freiburg, 30. September 1849.
Der kommandierende General des ersten Armeekorps
der königl. preußischen Operationsarmee am Rhein
v. Hirschfeld.“

Dieses unerhörte Verfahren rief selbst bei vielen von denen, die Kinkels politische Meinungen nicht teilten und seine Handlungen mißbilligten, die tiefste Entrüstung hervor. Das in aller Form gefällte Erkenntnis eines Kriegsgerichts wurde ungesetzlich genannt, nur weil es nicht auf den Tod lautete. Es wurde ein Akt der Gnade genannt, daß der König, das als „ungesetzlich“ erkannte Urteil des Kriegsgerichts dennoch annehmend, die Festungsstrafe in Zuchthausstrafe verwandelte. Was war Festungsstrafe? Einsperrung in eine Festung unter militärischer Bewachung, bei welcher der Gefangene immerhin die Zeichen seiner bürgerlichen Identität, seinen Namen, seine Kleider, seinen Charakter als Mann behielt, eine dieses Charakters nicht unwürdige Behandlung seitens seiner Wächter empfing, ja wo ihm nicht selten seine gewohnten geistigen Beschäftigungen verblieben, – eine Haft, aber keine Beschimpfung, keine Marter. Und was war Zuchthausstrafe? Einsperrung in eine Strafanstalt der gemeinen Verbrecher, wo der Gefangene mit dem Diebe, dem Fälscher, dem Raubmörder gleichgestellt, wo sein Haupthaar geschoren, seine bürgerliche Kleidung mit der Zuchthausjacke vertauscht wurde, – wo er seinen Namen verlor und statt dessen eine bloße Nummer empfing, wo er im Falle eines Disziplinarfehlers mit Stockschlägen gezüchtigt werden durfte, wo er sein ganzes geistiges Leben aufzugeben hatte, um dafür geisttötende Zwangsarbeit zu verrichten. Nicht etwa von einem Todesurteil, denn ein solches war nicht gefällt, – sondern von jener Festungshaft zu dieser Zuchthausstrafe wurde Kinkel „begnadigt“, – er, der Kunstgelehrte, der so manchem jungen Geiste das Reich des Schönen aufgeschlossen, der Dichter, der so manches deutsche Herz erfreut und erhoben, der liebenswürdige, weichmütige, lebensfrohe Mensch, den nur seine Begeisterung für Freiheit und Vaterland und sein warmes Gefühl für das aufstrebende Volk zu dem geführt hatte, was man als sein Verbrechen ansehen mochte. Selbst wenn er nach dem Kampfe, den er verloren, dem Gesetze nach einer Strafe verfallen war, so empörte sich doch der gesunde Sinn selbst vieler Andersdenkenden gegen die grausame Willkür, die ihn über den Wahrspruch des Kriegsgerichts hinaus nicht allein bestrafen, sondern beschimpfen und unter den Auswurf der Menschheit verweisen wollte. Selbst der Tod, der ihm doch seine Manneswürde

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s166.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)