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gelassen hätte, würde weniger grausam erschienen sein, als solche „Gnade“.

Kinkel wurde nun zuerst in das badische Gefängnis in Bruchsal gebracht, um bald darauf in das Zuchthaus zu Naugard in Pommern übergeführt zu werden. Man wollte ihn offenbar vom Rheinlande, dem Herde der Sympathie für ihn, möglichst weit entfernen. Geschorenen Hauptes, in graue Züchtlingsjacke gekleidet, hatte er seine Tage mit Wollespulen zu verbringen. An den Sonntagen mußte er seine Zelle scheuern. Von aller geistigen Tätigkeit wurde er so viel wie möglich abgeschnitten. Seine Nahrung war diejenige der im Zuchthause eingesperrten Verbrecher. Vom Tage seiner Ankunft in Naugard, dem 8. Oktober 1849, bis zum April 1850 erhielt er nur ein Pfund Fleisch. Doch scheint er das Herz des Direktors des Zuchthauses bald gewonnen zu haben, denn seine Behandlung nahm nach und nach einen etwas rücksichtsvolleren Charakter an; und es wurden ihm kleine Vergünstigungen gewährt. Man gestattete ihm eine etwas häufigere Korrespondenz mit seiner Gattin, – wobei freilich alle Briefe immer offen durch die Hände des Direktors gingen; er wurde von dem sonntäglichen Scheuern seiner Zelle dispensiert; ein kleines Geschenk von Zuckerwerk, welches seine Familie ihm zu Weihnachten schickte, wurde ihm überliefert. Aber Wolle spulen mußte er noch immer, und als unser guter Strodtmann, damals noch Student in Bonn, durch ein Gedicht: „Das Lied vom Spulen“, für Kinkel an das Volksherz appellierte, wurde der junge Dichter sofort von der Universität ausgestoßen.

Unterdessen gingen in Köln die Vorbereitungen für die Prozessierung derjenigen vor sich, die im Mai 1849 sich an dem Zuge von Bonn nach Siegburg beteiligt hatten, und im Anfang des Jahres 1850 verbreitete sich das Gerücht, daß die Regierung beabsichtige, im Frühling Kinkel von Naugard nach Köln zu bringen, um auch ihn wegen der Siegburger Sache vor Gericht zu stellen und weiter bestrafen zu lassen.

Es war im Februar 1850, daß ich einen Brief von Frau Kinkel empfing. In brennenden Farben schilderte sie mir die entsetzliche Lage ihres Mannes und den Jammer der Familie. Aber die geistvolle und energische Frau sprach keineswegs zu mir in dem Tone jener ohnmächtigen Verzweiflung, die nur die Hände ringt und sich dem übermächtigen Schicksal schwachmütig unterwirft. Der Gedanke, daß es möglich sein müsse, Mittel und Wege zur Befreiung ihres Mannes zu finden, beschäftigte sie Tag und Nacht. Schon seit Monaten hatte sie mit Freunden korrespondiert, in deren Gesinnung sie Vertrauen setzte, und deren Tatkraft sie anzuregen hoffte. Einige hatten auch Befreiungspläne mit ihr beraten, andere ihr Summen Geldes zur Verfügung gestellt. Aber, schrieb sie mir, niemand habe sich bereit gezeigt, selbst das Wagestück zu unternehmen. Was not tue, sei ein Freund, der Mut, Ausdauer und Geschick habe, und der seine ganze Kraft dem Befreiungswerk widmen wolle, bis es gelungen sei. Sei selbst würde den Versuch machen, müßte sie nicht fürchten durch ihr Erscheinen in der Nähe ihres Mannes sofort Verdacht zu erregen und die ihn umgebende Wachsamkeit noch zu verschlimmern. Aber es müsse schnell gehandelt werden, ehe die nagende Qual des Gefängnislebens Kinkels geistige und körperliche

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s167.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)