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mündlich anvertrauen, denn ein Gespräch unter ihnen, zufällig von Unberufenen gehört, könnte es verraten. Ich mußte mir also die Frage der Einwilligung meiner Eltern selbst beantworten, und ich beantwortete sie schnell. Sie waren warme Bewunderer Kinkels und ihm in herzlicher Freundschaft ergeben. Sie waren gute Patrioten. Meine Mutter, so dachte ich, die mir im vorigen Jahre, als ich auszog, selbst meinen Säbel gereicht, würde mir sagen: „Geh und rette Deinen Freund.“ Somit waren alle Bedenken überwunden.

An demselben Tage schrieb ich an Frau Johanna, sie würde meiner Meinung nach wahrscheinlich das Los ihres Mannes nur erschweren, wenn sie einen Befreiungsversuch in Köln bei Gelegenheit des Siegburger Prozesses erlaubte, weil die Behörden dann unzweifelhaft darauf bedacht sein würden, die umfassendsten Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Sie solle ihre Mittel zusammenhalten und, ohne an baldige Unternehmungen zu denken, geduldig und schweigend warten, bis sie wieder von ihrem Freunde höre. Mein Brief war so abgefaßt, daß sie ihn verstehen konnte, während er meine Absicht nicht verraten haben würde, wäre er in falsche Hände gefallen. Da sie auch meine Handschrift kannte, so unterschrieb ich ihn mit einem andern Namen und dirigierte die Aufschrift an eine dritte Person, welche sie mir angegeben hatte. Ich faßte sogleich den Plan, sie persönlich in Bonn aufzusuchen und dort mit ihr mündlich das weitere zu verabreden, statt es dem Papier anzuvertrauen.

Ohne Aufschub begann ich meine Vorbereitungen. Ich schrieb meinem Vetter Heribert Jüssen in Lind bei Köln, dessen Signalement in allen wesentlichen Punkten mit dem meinigen übereinstimmte, er solle sich von der Polizeibehörde einen Reisepaß für das In- und Ausland geben lassen und ihn mir schicken. Wenige Tage darauf war der Paß in meinen Händen, und ich konnte nun wie ein gewöhnliches unverdächtiges Menschenkind ohne Schwierigkeit reisen, wo man mich nicht persönlich kannte. Nun galt es, für mein Vorhaben aus meiner Verbindung mit der Flüchtlingschaft möglichst viel Vorteil zu ziehen, ohne meine Freunde auf die Fährte meines Planes zu bringen. So gab ich denn dem Vorstande unseres Klubs zu verstehen, ich sei bereit, als Emissär verschiedene Plätze in Deutschland zu besuchen, um dort geheime Zweigklubs zu organisieren und diese mit dem Komitee in der Schweiz in Verbindung zu setzen. Diese Andeutung wurde mit großem Vergnügen aufgenommen, und ich empfing mit ausführlichen Instruktionen eine lange Liste von zuverlässigen Personen in Deutschland. Nun war alles für meine Abreise bereit, und da ich als Emissär auf eine geheime Expedition auszog, so fanden meine Freunde es natürlich, daß ich gegen Mitte März plötzlich ohne Abschied aus Zürich verschwand.



Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s169.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)