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Achtes Kapitel.

Auf dem Wege zu Kinkels Befreiung.

Es ist später erzählt worden, ich habe damals Deutschland in einer mich unkenntlich machenden Verkleidung durchreist. Dies war keineswegs der Fall. Ich suchte und fand meine Sicherheit darin, daß ich in der Gestalt erschien, die mir natürlich war, und daß ich mich in Gesellschaft anderer Menschen möglichst unbefangen bewegen konnte. Freilich zeigte ich mich nicht mehr als nötig war, und vermied es, die Aufmerksamkeit anderer auf mich zu ziehen. So durchfuhr ich von Basel aus das Großherzogtum Baden an Rastatt vorbei, dessen Schloßturm, auf dem ich so manche Stunde verbracht, ich von dem Fenster meines Eisenbahnwagens sehen konnte. Meine erste Reisestation war Frankfurt, wo mehrere der von dem Vorstand unseres Klubs in Zürich bezeichneten Vertrauenspersonen wohnten. Diese besuchte ich, ließ mir von ihnen Aufschluß über den Stand der Dinge in diesem Teile von Deutschland geben und berichtete das Gehörte meinen Auftraggebern in der Schweiz. Überhaupt führte ich die mir von diesen gegebenen Instruktionen getreulich aus, und es gelang mir, den Eindruck in bezug auf den Zweck meiner Reise, den ich in Zürich zurückgelassen, so vollständig aufrecht zu erhalten. So besuchte ich denn eine Reihe von Städten, Wiesbaden, Kreuznach, Birkenfeld, Trier, wo ich Gesinnungsgenossen fand und neue Verbindungen anknüpfte. Überall gab es noch Leute, die hofften, durch Geheimbünde eine neue revolutionäre Umwälzung herbeiführen zu können. Es ist dies eine gewöhnliche Nachwehe fehlgeschlagener Volkserhebungen. Ich reiste die Mosel hinunter nach Koblenz, wo ich mich des Tages über still hielt, um von dort die Nachtpostkutsche nach Bonn zu nehmen. Alles dies gelang mir, ohne daß ich durch ein zufälliges Zusammentreffen mit andersgesinnten Bekannten in Gefahr gekommen wäre. Wie ich mich meiner Heimat näherte, fing meine Fahrt jedoch an, bedenklicher zu werden. Gegen zwei Uhr morgens kam ich in Godesberg an, wo ich die Postkutsche verließ. Dann machte ich den Rest des Weges nach Bonn zu Fuß. Wie schon erwähnt, lag das Haus meiner Eltern außerhalb der Stadt auf der Koblenzer Straße. Ich erreichte es gegen drei Uhr morgens. Zufällig besaß ich den Hausschlüssel noch, den ich als Student gebraucht hatte, und der eine Hintertür öffnete. So gelangte ich in das Haus und stand plötzlich in dem Schlafzimmer meiner Eltern. Sie schliefen beide tief. Nachdem ich eine Weile still auf einem Stuhl gesessen, und als schon das Frühlicht durch das Fenster dämmerte, weckte ich sie. Ihr Erstaunen, mich zu sehen, war unbeschreiblich. Einige Augenblicke konnten sie sich nur schwer überzeugen, daß ich es auch wirklich sei. Dann ging ihre Überraschung in die lebhafteste Freude über. Meine Mutter fand, daß ich zwar etwas ermüdet, aber sonst doch vortrefflich aussah, und wollte sogleich für ein Frühstück sorgen. Nachdem ich über mein Kommen die notdürftigste Auskunft gegeben, wollte mein Vater, der unmäßig stolz

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s170.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)