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auf mich war, von mir wissen, wen ich denn im Laufe des Tages sehen möchte. Ich hatte Mühe, ihn zu überzeugen, daß vor allem meine Gegenwart mit der größten Sorgfalt geheim gehalten werden müsse, und daß ich daher mit niemandem als den allervertrautesten und zuverlässigsten Personen in Berührung kommen dürfe.

Glücklicherweise traf es sich, daß Frau Johanna Kinkel an demselben Morgen, wie sie das oft zu tun pflegte, meine Eltern besuchte, und ich konnte mit ihr ein Gespräch unter vier Augen haben. Ich sagte ihr, daß ich bereit sei, mich der Befreiung Kinkels zu widmen, wenn sie das Unternehmen ganz in meine Hände legen, sich niemandem anders darüber anvertrauen, niemandem meinen Namen nennen und von mir nicht mehr Berichte über den Fortgang des Unternehmens verlangen wolle, als ich ihr freiwillig geben werde. Mit rührender Begeisterung dankte sie mir für meine Freundschaft und versprach alles. Nachdem wir uns darüber verständigt, was vorläufig zu tun und zu unterlassen sei, gab ich ihr das in Zürich von mir erfundene Rezept einer „Zaubertinte“, mit welcher wir die Korrespondenz, die zwischen uns nötig sein möchte, führen konnten. Es war eine chemische Lösung, mit der man ein Blatt Papier beschrieb, ohne daß die Schrift sichtbar wurde. Dann wurde ein Brief, unverfängliche Dinge enthaltend, mit gewöhnlicher Tinte darüber geschrieben. Der Empfänger trug dann mit einem Pinsel oder Schwamm eine andere chemische Lösung auf das Papier, die das mit gewöhnlicher Tinte Geschriebene verschwinden machte. Darauf wurde das Blatt am Ofen oder einer Lampe erwärmt, worauf die mit der „Zaubertinte“ geschriebene Mitteilung leserlich erschien. Kinkels ältester Sohn, Gottfried, damals ein kleiner Knabe, erzählte später, daß er gesehen, wie seine Mutter dann und wann Blätter Papier gewaschen und am Ofen oder über dem Lampenschirm getrocknet habe. Das waren meine Briefe.

Nachdem ich Frau Johanna gesehen, war mein wichtigstes Geschäft in Bonn beendigt, und ich konnte mich einige Tage oder so lange, als ich hoffen durfte, unentdeckt zu bleiben, der Freude des Zusammenseins mit den Meinigen hingeben. Einige meiner vertrautesten Freunde unter den Studenten sah ich in der Wohnung eines von ihnen und traf dort auch einen jungen Mediziner, Abraham Jacobi, einen eifrigen Gesinnungsgenossen, der sich in Amerika im späteren Leben einen so bedeutenden Namen als Arzt und medizinischer Schriftsteller gewann, daß ihm, obgleich er politisch geächtet gewesen, die seltene Ehre eines Rufes an die Berliner Universität zuteil wurde. Seine Freundschaft habe ich bis zu dem Augenblicke, da ich dieses schreibe, beständig genossen und immer höher schätzen lernen. In der Dunkelheit der Nacht ging ich auch ein paarmal aus, um meine gewohnten Wege noch einmal zu betreten; und auf einer solchen nächtlichen Gespensterfahrt konnte ich es nicht unterlassen, auch an Bettys Fenster vorüberzuwandern, um vielleicht einen Lichtschein zu erhaschen, der durch die Läden fallen möchte. Es war jedoch alles dunkel. Am nächsten Morgen aber empfing ich mehr als einen nächtlichen Lichtschein. Einer meiner besten Freunde, der auch Betty kannte, kam zum Hause meiner Eltern und brachte mir einen Blumenstrauß. „Diesen Strauß“, sagte er, „schickt Dir ein Mädchen,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s171.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)