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dem ich mit voller Sicherheit sagen durfte, daß Du hier seiest.“ Ich wurde über und über rot, als ich die Blumen annahm und meinen Dank aussprach. Weitere Fragen scheute ich mich zu stellen; ich zweifelte nicht, wer die Geberin war.

Nach wenigen Tagen waren so viele Freunde von meiner Anwesenheit unterrichtet worden, und die Gefahr, durch eine zufällige Unterhaltung zwischen ihnen verraten zu werden, trat mir so nahe, daß ich es für nötig hielt, von Bonn zu verschwinden. Auf meinen Wunsch kam mein Vetter Heribert Jüssen, derselbe, dessen Paß und Namen ich führte, mit seinem Fuhrwerk nach Bonn herüber, um mich während der Nacht nach Köln zu bringen. Der Abschied von meinen Eltern und Geschwistern war hart, aber sie sahen mich doch guten Mutes von dannen ziehen. Ich ließ sie wie meine Freunde in der Schweiz, in dem Glauben, daß ich ausschließlich im Auftrage des Züricher Komitees in Deutschland sei. Doch hatten wir oft über Kinkels entsetzliches Schicksal gesprochen, und meine Eltern hatten wiederholt und nachdrücklich den Wunsch geäußert, es möge sich doch jemand dazu finden, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Obgleich sie dabei wahrscheinlich nicht an mich dachten, so hielt ich mich doch überzeugt, daß sie meinen Entschluß billigen würden. Aber wie gern ich es auch getan hätte, ich teilte ihnen nichts davon mit, da ich das tiefste Geheimnis für eine Bedingung des Gelingens ansah. So wußte denn, als ich Bonn verließ, niemand von meinem Vorsatz als Frau Johanna Kinkel selbst.

In Köln wurde ich im obersten Stock einer Restauration, die von einem eifrigen Demokraten geführt wurde, bequem und sicher einquartiert. Mein Freund, „der rote Becker“, Redakteur der demokratischen Zeitung, war dort mein besonderer Beschützer und Vertrauter. Ich hatte ihn auf der Universität kennen lernen. Er war zwar nicht mehr Student; seine juristischen Examina hatte er längst hinter sich, aber er liebte es noch immer, als „bemoostes Haupt“, oder als angehender „alter Herr“, mit seiner ehemaligen Burschenschaft, der Alemannia, in studentischer Weise zu verkehren. Und niemand besaß einen lustigeren Humor und eine unverwüstlichere Ausdauer beim Gelage. Jeder kannte und liebte ihn. Seinen Spitznamen „der rote Becker“ hatte er der Eigentümlichkeit seiner Erscheinung zu verdanken. Er hatte dünnes goldrotes Haar und einen dünnen goldroten Vollbart. Dazu waren seine Augenlider chronisch entzündet, so daß die Augen rot eingefaßt schienen. Nicht allein seine liebenswürdige Gemütsart und sein sprudelnder Witz, sondern auch sein scharfer, kritischer Geist und seine umfassenden Kenntnisse machten ihn zu einem höchst angenehmen und sehr gesuchten Gesellschafter. Doch würde man damals schwerlich vorausgesetzt haben, daß dieser lustige Kumpan, dem ein wochenlanges „Bummeln“ mit seiner alten Burschenschaft noch so große Befriedigung gewährte, während er schon in verhältnismäßig jungen Jahren die Seltsamkeiten eines unverbesserlichen alten Junggesellen in hoher Entwicklung zeigte, sich einst als Verwaltungsbeamter auszeichnen und als Oberbürgermeister der Stadt Köln und Mitglied des preußischen Herrenhauses sterben werde.

Mich hatte politische Gesinnungsgenossenschaft mit ihm zusammengeführt und eng verbunden. Er war zurzeit nicht allein Redakteur des

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s172.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)