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da das Karree St. Martin, wo die ersten Barrikaden des Februar gestanden; da das Hotel de Ville, wo die Kommune gesessen und Robespierre mit blutendem Kopf auf einem Tisch gelegen; da das Palais Royal, wo Camille Desmoulins, auf einem Stuhl stehend, seine feurige Rede gehalten und ein grünes Blatt als Kokarde an seinen Hut gesteckt; da der Karusselplatz, wo an dem berühmten 10. August das Königtum Ludwigs XVI. fiel.

Mehrere Stunden war ich so wie in einem Traum befangen umhergewandert, als ich an einem Schaufenster eines Ladens zwei Männer miteinander deutsch sprechen hörte. Dies weckte mich aus meinen Phantasien auf, und es fiel mir ein, daß ich mich wohl nach den deutschen Flüchtlingen umsehen sollte, deren Adressen ich besaß. Ich redete also die deutsch sprechenden Männer an, indem ich sie fragte, wo eine gewisse Straße sei. Ich empfing höflichen Bescheid und befand mich bald in der Wohnung meines Freundes, den ich in der Pfalz kennen gelernt, – des sächsischen Flüchtlings von Zychlinski. Dieser besorgte mir ein möbliertes Zimmer in der Nähe der Kirche St. Eustache und unterwies mich schnell in der Kunst, in Paris für wenig Geld ziemlich gut zu leben.

Mein Aufenthalt in der französischen Hauptstadt dauerte etwa vier Wochen. Meine erste Sorge war, mich in der Landessprache zu üben. Ich hatte nämlich in Brüssel schon bemerkt, daß der französische Unterricht, den ich auf dem Gymnasium genossen, mich kaum in den Stand setzte, mir ein Frühstück zu bestellen. So fing ich denn sofort an, mit einem Wörterbuch in der Hand Zeitungen zu lesen, die Anzeigen einbegriffen, um dann jede Gelegenheit zu benützen, um im Gespräch mit dem Concierge meines Hauses, oder dem Kellner, der mich im Restaurant bediente, oder mit irgend jemandem, dessen ich habhaft werden konnte, die gewonnenen Worte und Redensarten zu verwerten. Schon nach wenigen Tagen fand ich, daß ich mir in alltäglichen Lebensangelegenheiten einigermaßen durchhelfen konnte. Doch werde ich auf meine Methode fremde Sprachen zu erlernen, später noch ausführlicher zurückkommen. Bedeutende Bekanntschaften machte ich damals in Paris nicht. Allerdings sah ich die leitenden Männer des gesetzgebenden Körpers, aber nur in der Entfernung von der Galerie aus. Mitflüchtlinge brachten mich mit einzelnen Franzosen zusammen, die durchweg der extremrevolutionären Richtung angehörten. Da vernahm ich denn wenig mehr als die landesüblichen Tiraden gegen Louis Napoleon, der damals noch Präsident der Republik war, aber deutliche Zeichen eines über diese Stellung hinausgehenden Ehrgeizes blicken ließ. In den Kreisen, in denen ich mich bewegte, stand es nun fest, daß diese napoleonische Wirtschaft unmöglich lange dauern könne, und daß die den Präsidenten stürzende neue Revolution sich unfehlbar wieder über den größten Teil von Europa verbreiten werde. Obgleich ich mir redliche Mühe gab, die Lage der Dinge in Frankreich richtig zu erkennen, und obgleich ich zu diesem Ende eifrig die Journale der Parteien las und auch meine Bekannten mit den eingehendsten Fragen auszuforschen suchte, so konnten sich doch meine Schlüsse nicht dem Einflusse meiner Wünsche und Illusionen entziehen, und es würde mir sehr unwillkommen sein, die Korrespondenzen,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s174.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)