Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s177.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Stimme hörte. Die öffentliche Prozedur vor dem Geschworenengericht begann am 29. April. Zehn Personen waren angeklagt, „ein Attentat verübt zu haben, dessen Zweck war, die bestehende Verfassung umzustürzen, die Bürger oder Einwohner des Staats aufzureizen, sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen, sowie einen Bürgerkrieg dadurch zu erregen, daß man die Bürger oder Einwohner des Staats gegeneinander bewaffnete oder verleitete, sich gegeneinander zu bewaffnen.“ Von den Angeklagten waren Gottfried Kinkel, Anselm Unger, Ludwig Meyer und Johann Bühl in den Händen der Regierung, – die sechs anderen, Friedrich Anneke, Joseph Gerhardt, Friedrich Kamm, Mathias Rings, Franz Joseph Klinker und Karl Schurz auf flüchtigem Fuße.

Unter der Bevölkerung von Köln herrschte fieberhafte Aufregung. Schon mit Anbruch des Tages, an dem der Prozeß beginnen sollte, drängte sich um das Gerichtsgebäude eine ungeheure Menge, die Kinkel, den gefangenen Freiheitsmann, den zum Zuchthaus begnadigten Dichter, noch einmal sehen und ihm ihre Sympathie bezeugen wollte. Die Behörden hatten ihrerseits große Vorbereitungen getroffen, um jeden Befreiungsversuch zu vereiteln. Der Wagen, der Kinkel von dem Zuchthause zum Gerichtshofe führte, war von einer starken Kavallerietruppe mit gezogenen Säbeln begleitet. Die Straßen, die er passieren mußte, sowie alle Zugänge des Justizgebäudes, starrten von Bajonetten. Auf dem Vorplatz waren zwei Kanonen mit einem Munitionswagen aufgefahren; die Artilleristen standen dabei fertig zum Dienst. Als Kinkel erschien, wurde er trotz alledem von den versammelten Volksmassen mit donnernden Hochrufen empfangen. Man hatte den Züchtling wieder in bürgerliche Kleidung gesteckt. Auf der Fahrt hatte er stumpf und teilnahmslos geschienen. Der Anblick und Zuruf des Volkes gab ihn sich selbst wieder. Das geschorene Haupt kühn und stolz erhoben, schritt er von dem Wagen zwischen den festgeschlossenen Reihen der Soldaten grüßend hindurch in den Gerichtssaal. Dort hatte Frau Johanna sich schon frühmorgens einen Platz gesichert, den sie auch jeden Tag während der Dauer des Prozesses einnahm. Für Kinkel beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe. Die Verhandlungen gingen den gewöhnlichen Gang; die Aussagen der zahlreichen Zeugen konstatierten den bereits erzählten Tatbestand ziemlich klar; der öffentliche Ankläger und die Advokaten der Angeklagten plädierten mit kühler Geschicklichkeit, Ludwig Meyer hielt eine mannhafte Rede, und endlich am 2. Mai ergriff Kinkel selbst zu seiner Verteidigung das Wort.

Die Erwartung der Versammelten, ja, des ganzen Volks, war aufs höchste gespannt. „Was wird er sagen?“ fragte man sich. „Wird er sich demütig und reuevoll beugen? Wird er das Bild eines gebrochenen und hinfort ungefährlichen Mannes darstellen, um sich so Gnade zu erkaufen? Oder wird er der Gewalt Trotz bieten, indem er sich kühn zu all dem bekennt, was er gewollt und getan, und so den letzten Anspruch auf eine Milderung seines furchtbaren Schicksals verscherzen?“ Man würde es dem schwer getroffenen Mann gern verziehen haben, hätte er durch eine nachgiebige Haltung eine Milderung seines entsetzlichen Loses bewirkt.

Die Antwort, die Kinkels Verteidigungsrede auf diese Fragen gab, war im höchsten Grade imponierend und rührend zugleich. Er begann

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s177.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)