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mit einer gedrängten Schilderung der politischen Lage in Deutschland nach der Märzrevolution von 1848. Das Volk habe damals die Souveränität errungen. Diese Souveränität des Volks sei verkörpert worden in den aus allgemeinem Wahlrecht hervorgegangenen konstituierenden Versammlungen, der preußischen Konstituante in Berlin sowohl wie dem Nationalparlament in Frankfurt. Alle Welt habe es so verstanden. Das Nationalparlament sei mit Mäßigung vorgegangen. Es habe eine Magna Charta der Volksrechte und eine Reichsverfassung geschaffen und den König von Preußen, denselben Fürsten, der sich im März 1848 an die Spitze der Einheitsbewegung gestellt, als Schirmherrn der Magna Charta zum Kaiser gewählt. Die Durchführung dieses Gedankens sei die letzte Rettung für die großen Hoffnungen der Nation gewesen. Aber der König von Preußen habe sich geweigert, durch die Annahme der Kaiserkrone das nationale Einheitswerk zu vollenden. Er habe die preußische Kammer, die ihn zur Annahme drängte, aufgelöst und damit die Möglichkeit einer Verständigung vernichtet und so auch alle Hoffnung auf die Verwirklichung sozialer Reformen. Nichts sei übrig geblieben, als ein Appell an die Waffen. Auch er, der Angeklagte, habe die Waffen ergriffen, und er erkläre jetzt seinen Richtern gegenüber, er glaube Recht getan zu haben. Er bekenne sich noch heute zu seiner Handlungsweise vom vorigen Mai; was er getan, habe er getan als ein Mann von Ehre.

Er ging noch weiter in seinem Bekenntnis. Er nannte sich einen Sozialisten, obgleich er ein Sozialist in dem uns jetzt geläufigen Parteisinne des Wortes eigentlich nie gewesen. Er war kein Anhänger eines jener Systeme, die eine gänzliche Umwälzung der hergebrachten Gesellschaftsordnung bedingen. Wenn er sich einen Sozialisten nannte, so bedeutete das nur, daß „sein Herz sich zu den Armen und Unterdrückten in seinem Volke gehalten und nicht zu den Reichen und Gewaltigen dieser Welt“. Es war der Gefühlsdrang, der so viele Herzen erfaßt hatte und den Parteinamen wählte, der ihm am genehmsten klang. „Und weil ich Sozialist bin“, fuhr Kinkel fort, „darum bin ich Demokrat, denn ich glaube, daß seine eigenen tiefen Wunden nur das Volk selbst zu empfinden, zu reinigen und zu heilen vermag. Weil ich aber Demokrat bin, weil ich den demokratischen Staat für die einzige und gewisse Möglichkeit halte, das Elend aus der Welt fortzuschaffen, darum glaube ich auch, daß, wenn einmal ein Volk demokratische Einrichtungen erobert hat, dieses Volk das Recht nicht allein, sondern auch die Pflicht besitzt, diese Einrichtungen bis auf den letzten Mann und mit allen Waffen, also auch mit der Kugel und dem scharfen Stahl zu verteidigen. In diesem Sinne bekenne ich mich für das Prinzip der Revolution, für welches seitdem auch mein Blut geflossen ist, und noch heute, ganz der Gewalt des Gegners hingegeben, noch heute bekenne ich mit den bleichen Lippen des gefangenen Mannes mich zu diesem Prinzip. Und darum auch glaube ich, daß ich damals samt den Freunden an meiner Seite recht gehandelt habe, als ich den Kampf aufnahm und ihm die höchsten Opfer brachte. Denn uns winkte ein großes Ziel. Hätten wir gesiegt, so retteten wir unserem Volk den Frieden mit sich selber, die Einheit des Vaterlandes, diesen Grundgedanken der deutschen Revolution,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s178.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)