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und in ihr den Schlüssel zu allen künftigen Eroberungen von Glück und Größe. Meine Herren, wir haben nicht gesiegt. Das Volk hat diesen Kampf nicht durchgesetzt, hat uns, welche ihm voraufgingen, verlassen. Die Folgen fallen auf unser Haupt.“

Nun erklärte er, wie in diesem Kampf er sich nicht gescheut habe, mit Leuten ohne Bildung und von zweifelhaftem Ruf sich zu verbinden, denn nie sei „eine Weltidee dadurch geschändet worden, daß die Zöllner und Sünder sich zu ihr bekannten“. Dann führte er aus, daß die Strafbestimmungen des Code Napoleon, der damals im Rheinlande das herrschende Gesetz war, auf die Staatsverhältnisse von 1849 keine Anwendung fanden; daß dieser Code einer militärisch absoluten Monarchie zum Gesetz gegeben worden; daß der Deutsche nach der Revolution von 1848 die Volksbewaffnung mit freier Wahl der Führer besaß; daß dieses den Zweck hatte, das Volk zu befähigen zum Schutze seiner Rechte gegen Eingriffe von oben. „Ihr sagt zu uns: Ihr wolltet die bestehende Verfassung umstürzen. Welche Verfassung meint man? Die neue preußische? Wem von uns ist das eingefallen? Oder die Frankfurter? Diese zu schützen, zogen wir aus. Bei Ihrem Gewissen, meine Herren, sind wir es gewesen, die Attentate auf die Verfassungen gemacht haben? Aber den Bürgerkrieg wollten wir entzünden!? Wer wagt das zu behaupten? Wer will es leugnen, daß durch eine Erhebung des ganzen Volks in Waffen, aber eine großartig-feierliche Erhebung, die Krone auch ohne Bürgerkrieg auf den Weg des Fortschritts gedrängt werden konnte? Ja, wenn das alles wahr wäre, was die Anklageakte uns Schuld gibt, wenn wir uns verschworen hätten, der Gewalt die Gewalt entgegen zu setzen, wenn wir uns bewaffnet hätten, ein Zeughaus zu stürmen, wenn wir den Bürgern Waffen gegeben hätten zu einer solchen Erhebung, dann, selbst dann würden wir nach einer Niederlage Unglückliche sein, aber Strafbare keineswegs. Wir hätten es getan, nicht um eine Verfassung umzustürzen, sondern eine wankende zu halten; wir hätten es getan, nicht um den Bürgerkrieg zu wecken, sondern um den Bürgerkrieg zu hindern, den gräßlichen Bürgerkrieg, der die Iserlohner Landwehr in den Tod trieb gegen die deutschen Schützen auf dem Turme von Durlach, der in seinen Folgen Durtu zur Kugel, Corvin zum Spinnrade verurteilte. Wie es geworden ist im Vaterlande, weil wir nicht siegten, das wissen Sie. Hätten wir aber gesiegt in diesen Kämpfen, bei Gott, meine Herren, statt des Fallbeils, mit dem heute ein rheinischer Staatsanwalt im Bunde mit dem Gesetz des französischen Tyrannen uns bedroht, würden wir aus Ihren Händen heute die Bürgerkrone fordern für unser Haupt.“

Dieser Teil der Rede wurde von allen Versammelten im Saale mit Erstaunen, von vielen mit Bewunderung gehört. Der präsidierende Richter fand es schwer, den Beifallssturm zu unterdrücken, der sich zuweilen entfesseln wollte. Doch fühlten alle, daß dieser Angeklagte, welcher der herrschenden Gewalt so kühn und stolz die Stirne bot, wenn er auch einer neuen Verurteilung entging, von nun an alle Hoffnung auf eine Milderung der ihm bereits auferlegten Strafe verwirkt habe. Aber was nun folgte, überwältigte die Zuhörer in ungeahnter Weise. In wenigen Sätzen wies Kinkel auf die Widersprüche

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s179.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)