Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s180.jpg

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und schwachen Punkte in den Zeugenaussagen hin und fuhr dann fort:

„Das einzige, wovon ein Schein übrig bleibt, ist, daß ich Bürger zur Bewaffnung aufgereizt hätte. Ich will es Ihnen sagen, wie es mit dieser Aufreizung ging. Ich sage es Ihnen gerne, weil in meinem Handeln dies eine zweideutig scheinen könnte, daß ich von einem Unternehmen, in das ich selbst mich stürzte, andere eher abzuhalten suchte. Mit voller Schärfe steht jener 10. Mai noch vor mir; denn dieser Tag, an dem ich, bis dahin ein hochbeglückter Mann, von all meinem Lebensglück schied, er ist mit den glühenden Nadeln des Schmerzes in meine Seele gegraben. Der Sturm jener drangvollen Zeit riß mir Stück um Stück vom Herzen weg; doch um 5 Uhr stand in mir noch kein Entschluß fest. Ich ging in die Universität, ich hielt ruhig und gelassen wie immer meine Vorlesung; es war meine letzte. Um 6 Uhr trafen die Nachrichten ein aus Elberfeld und Düsseldorf; sie schlugen zündend in meine Brust. Ich fühlte, daß für mich die Stunde da sei, wie die Ehre gebot, zu handeln. Aus der Versammlung ging ich in meine Wohnung, um Abschied zu nehmen. Ich nahm Abschied von dem Frieden meines Hauses, von dem Amte, das zwölf Jahre mich beglückt, das ich zwölf Jahre, wie ich glaube, treu verwaltet hatte; nahm Abschied von dem Weibe, an dessen Besitz ich schon einmal meine Existenz gesetzt, Abschied von meinen schlafenden Kindern, die nicht träumten, daß sie in dieser Minute ihren Vater verloren. Aber als ich nun über die Schwelle trat in die dunkelnde Straße, da sprach ich zu mir: „Du durftest diesen Entschluß fassen, denn welches auch die Folgen sein mögen, du weißt es, daß der Trost der Idee und der Überzeugung dich niemals verlassen kann. Aber einen andern Gatten, einen andern Vater hast du kein Recht mit fortzureißen in den gleichen furchtbaren Entschluß.“ In dieser Stimmung betrat ich die Rednerbühne, in dieser Stimmung mahnte ich jeden ab, dessen Herz nicht fest war wie das meinige – und aus dieser Rede macht die Anklage eine unmittelbare Aufreizung! Glauben Sie nicht, meine Herren, als wollte ich durch Rührung Sie überwältigen und Ihr Mitleid erwecken. Ja, ich weiß es, und die Begnadigungen des Jahres 1849 haben mich darüber belehrt, daß Ihr „Schuldig“ ein gewisses Todesurteil in sich schließt; aber trotzdem begehre ich Ihr Mitleid nicht. Nicht für meine Mitangeklagten, denn diesen sind Sie nicht Mitleiden, sondern eine Genugtuung schuldig für die lange unverdiente Haft. Nicht für mich, denn so unschätzbar mir Ihre Teilnahme als Bürger und Männer ist, so wenig hat Ihr Mitleiden für mich Wert. Die Leiden, die ich trage, sind so furchtbar, daß Ihr Spruch mich nicht schrecken kann. Man hat über das Maß der mir zuerkannten Strafe hinaus meine Haft gesteigert, durch die grauenvolle Einsamkeit der Isolierzelle, in deren öde Stille kein Trompetenton der kämpfenden Welt draußen, kein Liebesblick treuer Freunde dringt. Man hat einen deutschen Schriftsteller und Lehrer, der in mehr als einer Brust die Flamme des Geistes und der Schönheit entzündet, man hat ein mitteilsames Herz dazu verdammt, in seelenloser Zwangsarbeit, in Versagung aller geistigen Hülfsmittel, langsam hinzusterben. Der Giftmischerin,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s180.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)