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von dem ein herausstehendes Scheit ihn an der Stirne traf, hatte diesen Vorteil wieder zunichte gemacht. In weniger als einer Viertelstunde wurde er, immer noch in betäubtem Zustande, von dem Postillon, der wirklich glaubte, einen Straßenräuber vor sich zu haben, aufgefunden und den herbeieilenden Gendarmen zurückgeliefert. Diese verdoppelten nun ihre Wachsamkeit, bis das Tor des Zuchthauses in Spandau sich hinter dem Unglücklichen schloß.

Nachdem die durch die Prozeßepisode verursachte Aufregung sich gelegt und Kinkel, still im Spandauer Zuchthause sitzend, zeitweilig aufgehört hatte, die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, reiste ich von Paris nach Deutschland zurück. Ich hatte unterdessen neue Instruktionen von dem Züricher Komitee erhalten, die ich getreulich ausführte. Zu diesem Zwecke besuchte ich mehrere Plätze im Rheinland und in Westfalen und wohnte sogar einer Zusammenkunft demokratischer Führer bei, die im Juli in Braunschweig stattfand. Dort machte ich die Bekanntschaft des mecklenburgischen Abgeordneten Moritz Wiggers, mit dem ich später in interessante Beziehungen kommen sollte. Auf diesen Reisen schien mir nur einmal eine Gefahr recht nahe zu treten. Ich war auf ein paar Stunden im Posthause zu Hamm eingekehrt und saß im Restaurationszimmer, auf eine bestellte Speise wartend. Mit einem preußischen Leutnant, der an demselben Tische mir gegenüber sitzend eine Tasse Kaffee trank, knüpfte ich ein harmloses Gespräch an, – wie ich denn gewöhnlich an öffentlichen Plätzen mich womöglich an Militärs oder Beamte, auf den Bahnhöfen vorzugsweise an die Polizisten hielt, um mich so als ein ganz unbefangenes und unverdächtiges Individuum zu beweisen. Während ich nun im Posthause zu Hamm mit dem Leutnant über gleichgültige Dinge sprach, bemerkte ich plötzlich, durchs Fenster blickend, eine sonderbare Bewegung. Ein Wagen hielt und ein ältlicher Herr in hellem Reiseüberrock stieg aus; mit ihm zwei Gendarmen, von denen einer an der Haustüre stehen blieb, während der andere mit dem Herrn im hellen Reiseüberrock hereinkam und sich auf dem Flur an der Treppe postierte. Der Herr trat ins Gastzimmer, und ich bemerkte, wie aus dem zugeknöpften Überrock ein dunkelroter Uniformkragen hervorsah. Der Herr war also ein Beamter – wahrscheinlich ein Polizeibeamter. Er fragte nach dem Wirt, und sobald dieser herzugetreten war, eröffnete sich zwischen beiden ein angelegentliches Gespräch, in leisem Tone geführt. Dieser Umstand beunruhigte mich. Unterdessen kam das Beefsteak, das ich bestellt hatte, und ich bezeichnete dem Kellner einen leeren Tisch an einem Fenster, das auf den Hof des Gasthauses hinausging. Dort wünschte ich zu essen. Um an diesen Tisch zu gelangen, schritt ich an dem Herrn im Überrock und dem Wirt möglichst dicht vorüber und suchte ein Wort aufzufangen, das mir über den Gegenstand der eifrigen Unterhaltung Aufschluß geben könnte. Ich hörte den Beamten die Worte aussprechen: „blonde Haare und Brille“, worauf der Wirt ziemlich laut antwortete: „Ich glaube, das muß er sein.“ Dies konnte auf mich passen, und es wurde mir ziemlich schwül zumute. Indes ging ich an den Tisch, auf dem mein Beefsteak mich erwartete, schob meinen Stuhl ans Fenster und fragte zwei in der Nähe sitzende Herren, ob es ihnen unangenehm sein

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s183.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)