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gewesen sein würde. Mein Invalidentum dauerte über zwei Wochen. Sobald ich mich wieder hinauswagen konnte, ging ich mit verdoppeltem Eifer an die Aufgabe, von deren Lösung ich nun einen zusammenhängenden Bericht geben werde.




Neuntes Kapitel.

Kinkels Befreiung.

Sogleich nach meiner Ankunft in Berlin setzte ich mich mit mehreren Personen in Verbindung, die mir teils von Frau Kinkel, teils von demokratischen Gesinnungsgenossen als zuverlässig bezeichnet worden waren. Ich brachte einige Zeit damit zu, sie möglichst sorgfältig zu studieren, da ich den wahren Zweck meiner Anwesenheit in Berlin niemandem anvertrauen wollte, von dem ich nicht überzeugt sein durfte, daß er zur Erreichung dieses Zweckes wesentlich helfen werde. Nach dieser Umschau teilte ich nur einem mein Geheimnis mit, dem Doktor Falkenthal, einem Arzt, der in der Vorstadt Moabit wohnte, dort einen Junggesellenhaushalt führte, und der mir seinem Charakter und seinen Umständen nach am geeignetsten schien, an dem beabsichtigten Wagestück teilzunehmen. Auch hatte er schon mit Frau Kinkel in Briefwechsel gestanden. Falkenthal hatte eine ziemlich ausgedehnte Bekanntschaft in Spandau und brachte mich dort mit dem Gastwirt Krüger zusammen, für den er sich als einen durchaus vertrauenswerten und tatkräftigen Mann verbürgte. Herr Krüger nahm in Spandau eine sehr geachtete Stellung ein. Er hatte seiner Gemeinde mehrere Jahre als Ratsherr würdig gedient, führte das beste Gasthaus in der Stadt, war wegen seines ehrenhaften Charakters und seiner Leutseligkeit allgemein beliebt und auch in seinen Vermögensverhältnissen gut gestellt. Obgleich er viel älter war als ich, so entwickelte sich doch zwischen ihm und mir bald ein Gefühl wahrhafter Freundschaft. Ich fand in ihm nicht nur ein mir sehr sympathisches Wesen, sondern einen ungemein klaren Verstand, große Diskretion, festen Mut und eine edle, opferwillige Hingebung an Zwecke, die er für gut erkannte. Er bot mir sein Haus an zum Hauptquartier meines Unternehmens.

Ich zog es jedoch vor, nicht in Spandau zu wohnen, da die Anwesenheit eines Fremden in einer so kleinen Stadt nicht lange geheim bleiben konnte. Der Aufenthalt in dem großen Berlin schien mir weniger gefährlich, wenigstens während der voraussichtlich langwierigen Vorbereitungen zu dem Schlußakt. Um von Berlin nach Spandau und von da nach Berlin zurückzufahren, bediente ich mich nicht der Eisenbahn, da auf dem Berliner Bahnhofe die Paßkarte eines jeden Reisenden, selbst auf den Lokalzügen, visitiert wurde und mein auf Heribert Jüssen lautender rheinischer Paß, obgleich er äußerlich in bester Ordnung war,

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)