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„Herzliche Grüße,“ antwortete ich. „Und diese Freundin schickt mich, um Sie um ein Paket mit wertvollen Papieren zu bitten, das sie zu gütiger Aufbewahrung in Ihre Hand niedergelegt hat.“

„Ich wußte, daß Sie um diese Zeit kommen würden,“ entgegnete die Dame. „In dieser Brieftasche finden Sie alles. Ich kenne Ihre Pläne nicht, aber sie müssen gut sein. Sie haben meine aufrichtigsten Wünsche. Gott schütze und segne Sie.“

Damit reichte sie mir ihre vornehme, schlanke Hand mit warmem Druck, und ich fühlte, nachdem ich sie verlassen, als wäre ihr Segen schon zur Wirklichkeit geworden.

Das Geld war mir eine schwere Sorge. Niemals hatte ich für fremdes Eigentum eine solche Verantwortlichkeit getragen. Um diese kostbare Summe keinem Zufalle auszusetzen, führte ich sie in einer Brusttasche, die ich sorgfältig zunähte, beständig mit mir herum.

Die schwierigste Aufgabe, die ich vor der entscheidenden Stunde noch zu lösen hatte, bestand darin, für Transportmittel nach einem sicheren Zufluchtsort zu sorgen. Wohin sollten wir uns wenden, nachdem die Befreiung des Gefangenen gelungen sein würde? Die Grenzen der Schweiz, Belgiens und Frankreichs waren zu weit entfernt. Die lange Landreise konnten wir nicht wagen. Es blieb also nichts übrig, als irgendwo die Seeküste zu gewinnen und dann zu Schiff nach England zu fliehen. Nach kurzer Überlegung kam ich zu dem Schluß, daß die Regierung Anstalt treffen werde, in den Häfen von Bremen und Hamburg jedes abgehende Fahrzeug mit Argusaugen zu bewachen. Es schien mir daher geboten, einen anderen Hafenplatz zu wählen, und so wendete ich mich nach Mecklenburg. In Rostock hatten wir in dem hervorragenden Advokaten und Präsidenten des Abgeordnetenhauses Moritz Wiggers, den ich auf dem Demokratenkongreß in Braunschweig persönlich hatte kennen lernen, einen einflußreichen und treuen Freund. Auch war Rostock zu Wagen am schnellsten zu erreichen – denn den Eisenbahnen durften wir uns nicht anvertrauen – und die Reise dahin bot noch den Vorteil, daß, wenn wir Spandau um Mitternacht verließen, wir hoffen durften, vor Tagesanbruch die mecklenburgische Grenze zu erreichen und so der unmittelbarsten Verfolgung durch preußische Polizei zu entgehen. Auch hatte ich auf meiner Liste zuverlässiger Personen eine ansehnliche Zahl von Mecklenburgern, an die ich mich um Hülfe wenden konnte.

Nun unternahm ich es, die Route, die ich zu nehmen gedachte, entlang zu reisen und mit den Gesinnungsgenossen, die ich auf ihr, oder rechts und links davon, finden würde, für die entscheidende Nacht und den darauf folgenden Tag Verabredungen für Relais von Pferden und Wagen zu treffen. Natürlich durften das nur Privatfuhrwerke sein, womöglich von den Eigentümern selbst kutschiert. Bis dahin war es gelungen, mein Geheimnis auf einen sehr kleinen Kreis zu beschränken. Nun aber wurde es nötig, eine größere Zahl von Personen ins Einverständnis zu ziehen, und damit wuchs die Gefahr. Was ich am meisten fürchtete, war nicht böswilliger Verrat, sondern übergroßer und indiskreter Eifer. Überall kam man mir mit biederer Herzlichkeit entgegen, und diese Herzlichkeit beschränkte sich nicht auf die politischen

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s197.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)