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Glaubensbrüder. Davon hatte ich ein merkwürdig überraschendes Beispiel. Im Innern von Mecklenburg wurde mir ein Mann von hervorragender Stellung, dessen Name jedoch nicht auf meiner Liste stand, als besonders vertrauenswert und hülfsbereit von meinen demokratischen Freunden bezeichnet. Ich besuchte ihn und wurde sehr freundlich empfangen. Auch sagte er mir bei der Aufstellung der Relais seine Mitwirkung ohne Umstände zu. Dann kamen wir auf Politik zu sprechen, und zu meinem größten Erstaunen erklärte mir mein neuer Freund, daß er unsere demokratischen Ideen für gutgemeinte, aber eitle Phantastereien halte. Mit großem Behagen setzte er mir auseinander, wie seiner Meinung nach die menschliche Gesellschaft am schönsten aussehe und auch am glücklichsten fahren werde, wenn sie recht bunt sei in ihrer Ständegliederung mit Fürsten, Rittern, Kaufleuten, Handwerkszünften, Bauern, Geistlichen und Laien, mit verschiedenen Rechten und Pflichten. Sogar die Klöster hätte er erhalten mögen mit ihren Äbten und Äbtissinnen, Mönchen und Nonnen. Kurz, von allen Phasen der menschlichen Zivilisation schien ihm die des Mittelalters als die erquicklichste. „Sie sehen,“ setzte er gemütlich hinzu, „ich bin so was man einen Vollblutreaktionär nennt, und an euere Freiheit und Gleichheit glaube ich nicht. Aber daß man den Kinkel, einen Dichter und Gelehrten, wegen seiner idealistischen Hirngespinste ins Zuchthaus gesteckt hat, das ist ein empörender Skandal, und, obgleich ein gut konservativer Mecklenburger, bin ich jederzeit bereit, ihm fortzuhelfen.“ So schieden wir denn voneinander im besten Einverständnis. Aber so ganz geheuer war mir doch nicht dabei, und ich sprach nachher mit meinen demokratischen Freunden in Mecklenburg von den sonderbaren Reden dieses Mannes und meiner Besorgnis. „Darüber können Sie sich beruhigen,“ war die Antwort. „Er ist allerdings ein kurioser Heiliger und schwätzt wunderliches Zeug. Aber wenn es eine gute Tat zu tun gilt, so ist er treu wie Gold.“ Und so bewies er sich auch.

Nach einer Rundreise von einigen Tagen waren meine Relais angeordnet und ich durfte hoffen, daß eine Fahrt von weniger als dreißig Stunden uns nach Rostock bringen würde. Dort konnten wir uns dann unseren Freunden anvertrauen, bis eine sichere Fahrgelegenheit zur See bereit sein würde. Um uns von Spandau bis zum ersten Relais zu bringen, wandte Krüger sich an einen in der Nähe wohnenden Gutsbesitzer namens Hensel, der besonders schnelle Pferde besaß und sie uns mit seinem Wagen und sich selbst als Kutscher gern zur Verfügung stellte.

Am 4. November nahm ich von Dr. Falkenthal Abschied. Er war mit meinem Plane im allgemeinen bekannt, aber ich hatte es nicht nötig gefunden, ihm alle Einzelheiten mitzuteilen. So wußte er nicht genau, in welcher Nacht der Befreiungsversuch gemacht werden sollte, und er war auch diskret genug, nicht mit Fragen in mich zu dringen. Aber beim Lebewohl schenkte er mir ein paar Pistolen, die mir dienen sollten, wenn ich ins Gedränge käme. Nachdem ich am Abend des 4. November in Spandau angelangt war, hatte ich noch eine Unterredung mit Brune, in welcher wir alle Details unseres Planes wiederum durchsprachen, um uns zu vergewissern, daß nichts vernachlässigt worden sei. Alles, so schien es, war in Ordnung.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s198.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2021)