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liebreich hatte sie sich nie gegen ihre Schwestern benommen, so zuvorkommend und dienstbeflissen hatte sie sich nie gegen uns Freunde bewiesen. Ihre ganze Gemüthsart schien veredelt zu seyn; auch an ihrem Beispiele konnte man sehen, daß wahre Liebe den Menschen besser macht, denn Liebe, feurige Liebe war es nun, was an den Fremden sie fesselte.

Dieser schien auch gegen sie eine mit jedem Tage wachsende Zuneigung zu bekommen, was nicht nur seine häufigen Besuche merken ließen, sondern was auch an einer gewissen Herzlichkeit und Vertraulichkeit, die er immer weniger zu verbergen sich bemühte, leicht zu errathen war. So unzweideutig übrigens die Zeichen waren, die auf zärtliche Gesinnungen schließen ließen, so vermied er gleiwohl immer noch eine nähere Erklärung. Er schien ein Mann zu seyn, den schmerzliche Erfahrungen von jeder raschen Voreiligkeit zurück hielten, und der sich deßwegen nicht so schnell ganz und leidenschaftlich hingab. Von der Ehe hatte er hohe Ideen, und machte deßwegen große Forderungen an eine Frau. Das häusliche Glück hielt er für das erste und höchste in der Welt, aber er behauptete öfters, daß es unter hundert nicht Eine Ehe gebe, welche man glücklich heißen könne. Von den Menschen hatte er im Ganzen eine geringe Meinung, aber er stellte die Menschenliebe dennoch als die erste Tugend auf.

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Ludwig Neuffer (Hrsg.): Taschenbuch von der Donau 1824. Stettinische Buchhandlung, Ulm 1823, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taschenbuch_von_der_Donau_1824_045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)