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es besteht seitdem in Stendal ein Sprichwort, womit man den Uebermuth des Trunkes warnt:

„He dheit mi wat, he dheit mi wat!
Is doch, as hätt’ ich dat Drinken satt!“


4. Der verschwundene Tambour.

Der Dom zu Stendal hat zwei hohe, schöne Thürme. Aber nur in einem derselben hängen Glocken. In dem andern ist nichts; darum heißt er auch der wüste Thürm. Eben so hat die Marienkirche zu Stendal zwei Thürme, von denen der eine gleichfalls, weil keine Glocken in ihm hängen, der wüste Thurm genannt wird. Von jedem dieser beiden wüsten Thürme geht tief in die Erde hinein ein unterirdischer Gang. Der Sage nach soll es nur ein und derselbe Gang sein, der unter dem Domhof, der Hallstraße und dem Markte hergeht, und so beide Thürme mit einander in Verbindung setzt. Unter der Hallstraße hallt es auch wirklich dumpf, als wenn es hohl darunter wäre. Daher soll sie auch ihren Namen haben. Vor vielen Jahren wollte man näher untersuchen, ob der Gang wirklich von dem einen Thurme zu dem anderen führe. Man hatte damals einen armen Sünder sitzen, der zum Tode verurtheilt war. Diesem, ein Tambour seines Zeichens, ließ man die Wahl, ob er den Gang untersuchen oder gehangen sein wolle. Er wählte gern das Erste. Man ließ ihn von dem wüsten Thurme des Domes aus in den Gang hineinsteigen, und befahl ihm zu trommeln, damit man, wenn er auch nicht wieder komme, oben auf der Erde immer hören könne, wie weit er gekommen sei. Der Tambour trommelte munter und lustig unter dem ganzen Domhofe weg bis mitten unter die Hallstraße. Da verstummte aber auf einmal die Trommel, und man hat von dem Tambour nie wieder etwas gesehen oder gehört.

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_007.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)