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Zur linken kniete ich, und weinte still,
Zur rechten stand Abdullah, starr und stumm,
Und mit der Friedenspalme schwebte sichtbar

810
Der Todesengel über Mutters Haupt.

Ich wollte sie entreißen diesem Engel,
Und ängstlich hielt ich fest der Mutter Hand.
Doch, wie die Sanduhr leis und leiser rinnet,
So rann das Leben aus der Hand der Mutter;

815
Auf ihrem bleichen Antlitz zuckten wechselnd

Ein Lächeln und ein Schmerz, und wie ich leise
Mich hinbog über sie, da seufzte sie
Aus tiefer Brust: „bring diesen Kuß Zuleimen.“
Bey diesem Namen stöhnte auf Abdullah,

820
Wie ein zu Tod getroff’nes, wildes Thier.

Die Mutter sprach nicht mehr, die kalte Hand nur
Lag in der meinigen, wie ein Versprechen.

Zuleima.
O Mutter, O Fatyma, du hast noch
Bis in den Tod geliebt dein armes Kind!

825
Abdullah aber hat mich noch gehaßt,

Als er hinabstieg in sein dunkles Haus.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo. Dümmler, Berlin 1823, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tragoedien_nebst_einem_lyrischen_Intermezzo_185.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)