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Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815)

So fürder von Abend zu Morgen, von Morgen zu Abend,
Mit Liebe sich nährend, mit seliger Hoffnung sich labend;
Zum drittenmal hebt sich die Sonne, da ist es geschehen,
Dort seht ihr Marien, die wonniglich weinende, stehen.

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„Guten Morgen, Marie! was seh’ ich! o fleißige Hände!

Gemäht ist die Wiese! das lohn’ ich mit reichlicher Spende;
Allein mit der Heurath – du nahmest im Ernste mein Scherzen,
Leichtgläubig, man sieht es, und thöricht sind liebende Herzen.“

Er spricht es und gehet des Wegs, doch der armen Marie

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Erstarret das Herz, ihr brechen die bebenden Kniee.

Die Sprache verloren, Gefühl und Besinnung geschwunden,
So wird sie, die Mähderin, dort in den Mahden gefunden.

So lebt sie noch Jahre, so stummer, erstorbener Weise,
Und Honig, ein Tropfen, das ist ihr die einzige Speise.

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O haltet ein Grab ihr bereit auf der blühendsten Wiese!

So liebende Mähderin gab es doch nimmer, wie diese.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0210.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)