Seite:UhlandGedichte1815 0327.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Da war ein alter Ritter
In Siegelindens Chor,
Dem war es leid und bitter,

25
Gar zornig trat er vor:

„Muß ich dich Hofzucht lehren?
Darfst du vom Kranz der Ehren
Ein Läublein nur begehren?“

O weh dem Garten immer,

30
Der solche Rosen bracht’!

O Heil den Linden nimmer,
Wo solcher Streit erwacht!
Wie klangen da die Degen,
Bis unter wilden Schlägen

35
Der Jüngling todt erlegen!


Sieglinde beugt’ sich nieder
Und nahm die Ros’ empor,
Steckt’ in den Kranz sie wieder,
Und ging zur Kirche vor.

40
Sie ging in Gold und Seide,

Mit Blumen und Geschmeide,
Wer thät ihr was zu Leide?

Vor Sankt Mariens Bilde
Nahm sie herab die Kron’:

45
„Nimm du sie, Reine, Milde!

Kein Blümlein kam davon.
Der Welt will ich entsagen,
Den heil’gen Schleier tragen
Und um die Todten klagen.“

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0327.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)