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8. Das Todaustreiben in Radeberg.

Den ältesten Bewohnern Radebergs ist in der Nähe der Stadt eine Wiese bekannt, die man früher allgemein als die „Totenwiese“ bezeichnete. Dieselbe erinnert an einen uralten Gebrauch der ehemaligen Bewohner Radebergs. Am

Sonntage Lätare, dem früheren Totensonntage oder Frühlingsanfange, putzte das junge Volk ein Jahr um das andere eine große Puppe aus Stroh auf das Abenteuerlichste an. Diese Puppe zierte man mit Blättern und Kränzen von Wintergrün, ferner mit bunten Tüchern und Bändern, setzte ihr eine Flachshaube auf und steckte dann das Ganze auf eine lange Stange. Dieser Strohmann oder auch dieses Strohweib stellte den Tod dar. Nach beendigtem Nachmittagsgottesdienste versammelte sich alt und jung auf dem Marktplatze. Es bildete sich hier ein langer Zug, dem der angeputzte Strohmann vorangestellt wurde. An der Spitze standen ein Knabe und ein Mädchen, beide hatten eine ganz besondere Tracht angelegt. Der Knabe stellte den Winter dar, das Mädchen den Frühling. Nachdem der Zug sich also geordnet hatte, setzte er sich unter Sang und Klang in Bewegung. Dabei wurde fast fortwährend das Verschen gesungen:

„Nun treiben wir den Tod auß,
Dem alten Juden in seinen Bauch,
Dem jungen in den Rücken,
Das ist sein Ungelücke.
Wir treiben ihn über Berg und tieffe Thal,
Daß er nicht wieder kommen soll,
Wir treiben ihn über die Hayde,
Das thun wir den Schäfern zu Leyde.“

Der Zug bewegte sich durch sämtliche Straßen der Stadt, zuletzt zum Tore hinaus auf die Totenwiese. Hier angekommen, wurde die phantastische Strohpuppe von der jubelnden Schar in Stücke zerrissen. Die Fetzen warf man darauf in den Röderfluß, worauf dann alle Zugteilnehmer unter fröhlichen Gesängen wieder nach der Stadt zurückkehrten. Spät am Abende versammelte sich das lustige Völklein abermals auf dem Marktplatze, zog von hier mit langen Strohfackeln auf den Schloßberg oder auf eine andere nahegelegene Anhöhe und zündete hier diese Strohfackeln an. Verschiedene Lieder wurden dabei unter fröhlichem Lachen abgesungen, und am Schlusse warf man die brennenden Fackelreste auf einen Haufen und umtanzte jubelnd das lodernde Opferfeuer. Viele andere schwenkten während dessen brennende Reißigbündel über den Köpfen und sprangen tobend und lachend umher. Alle verweilten auf der genannten

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 028. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_028.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)