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ausgestreute Erbsen suchte man diese in die Nähe der Schutzhütte zu locken. – An einem Herbstabende war der alte Waldheger aus Seeligstadt wieder einmal in dem Jagdhäuschen, um seines Amtes zu walten. Doch da der erste Teil der Nacht sehr dunkel war und der Mond erst nach Mitternacht leuchtete, so hatte er sich zu einem kurzen Schlafe auf eine Bank in der Jagdhütte ausgestreckt. Mehrere Stunden mochte er geschlummert haben. Gegen Mitternacht wurde der Schlafende durch ein Geräusch aufgeschreckt. In der Luft rauscht es seltsam, in den Wipfeln der dunklen Waldbäume braust der Herbststurm, Hunde kläffen, Büchsen knallen und Hussarufe erschallen. Der alte Waldheger ist darüber sehr verwundert und meint, man wolle ihn um die Beute bringen und das Hoch- und Schwarzwild verscheuchen. Darum springt er ärgerlich vom Lager auf, öffnet das Fenster des Jagdhäuschens und ruft in die rabenschwarze Nacht hinaus: „Halb Part! Halb Part! (Halb Teil!) Kurze Zeit darauf ist der tolle Lärm vorüber. – Nach einer Stunde geht der Mond auf, es wird hell, und der alte Waldheger verläßt die Jagdhütte, um Beute zu machen. Wie groß ist aber sein Erstaunen, als er draußen vor dem Jagdhäuschen eine große Anzahl erlegter Hirsche und Wildschweine erblickt, die an den Bäumen rings umher aufgehängt sind! Nun wußte er, wer jenen Höllenlärm verursacht hatte. Berndittrich, der wilde Jäger, hatte Jagd in der Masseney gehalten und mit dem alten Waldheger die gemachte Beute „Halb Part“ redlich geteilt.


28. Seeligstadt.

Das erste Dorf, durch welches die Kleine Röder auf ihrer Wanderung kommt, ist das schöngelegene Kirchdorf Seeligstadt. Seit Jahren wird dasselbe von Dresdner Malern gern aufgesucht. Seeligstadt gehört zu denjenigen Dörfern im Rödertale, welche ehemals zum benachbarten Königreich Böhmen zählten. Die frühere Landesgrenze zwischen dem Meißner Lande und Böhmen lief längs der Kleinen Röder hin. Es heißt da in den alten Grenzbestimmungen jener Zeit wörtlich:

„Und die Grenze läuft förder an Fischbach u. an die
Redern, die durch Seeligstadt fleußt.“

Da nun die Röder mitten durch Seeligstadt fließt und das Dorf in zwei Ortsteile trennt, so kann nur die eine Ortshälfte, die südliche, zu Böhmen gehört haben, während die nördliche im Meißner Lande lag. Demnach wird das halbe Dorf mit den nordöstlich gelegenen Feldern und Wohnungen damals nicht zum Amte Stolpen gehört haben und nie böhmisch gewesen sein. Als nun am 18. Oktober 1227 das Amt Stolpen durch Kauf in die Hände des Bischofs Bruno I. von Meißen überging, kam auch die südliche Ortshälfte Seeligstadts in bischöflichen Besitz. Die Grenze des Amtes Stolpen wird nördlich bis an die Steinbach in der Masseney vorgeschoben. Ganz Seeligstadt mit allen Feldern, Wiesen und Wäldern befindet sich nun in den Händen des Bischofs.

Von jeher ist Seeligstadt ein deutsches Dorf gewesen. Deutsche haben es jedenfalls schon im 12. Jahrhundert gegründet. Wie die Sage berichtet, soll an diesem Orte ursprünglich eine Begräbniskapelle gestanden haben. Für diese Annahme spricht allerdings der Name des Dorfes, der gedeutet wird: „Stätte der Seeligen“.[1] In alten Urkunden des Meißner Domstifts wird der Ort


  1. Vielleicht ist in dem Worte Seeligstadt auch ein Personenname versteckt.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 067. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_067.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)