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den Unterricht auf allen Stufen und in allen Fächern weiter begleite und belebe. Herr Schulrat Dr. Lange sagt hierüber in seinem vortrefflichen Werke „Über Apperzeption“ folgendes: „Die Heimatkunde muß den Unterricht auf allen Stufen und in allen Fächern weiter begleiten. Die Gewinnung und Bearbeitung ihres Lehrstoffes ist nicht auf die ersten Schuljahre zu beschränken, sondern auf die ganze Schulzeit zu verteilen. Jedes der folgenden Schuljahre soll die ihm naheliegenden und ihm unentbehrlichen heimatkundlichen Stoffe zur Belebung des Unterrichtes sich dienstbar machen.“ Vor allen Dingen bedürfen die realistischen Fächer einer fortdauernden Beziehung zur heimatlichen Erfahrung der Kinder. Das gilt vor allen Dingen beim Geschichtsunterrichte. Ihm reicht die Heimat so mannigfach die Hand und oft reichliche Unterstützung. Der Lehrer sollte da recht dankbar sein und solche Hilfen stets annehmen. Herr Schulrat Dr. Lange sagt weiter: „Der historische Unterricht, welcher nicht in den heimatlichen Anschauungen des Kindes seine stärkste Hilfe sucht, spielt auf einem Instrumente, dem die Saiten fehlen. Draußen im Walde und auf der Heide gewinnt das Kind leicht ein Bild von dem Urzustande der Heimat, von einer Zeit, da keines Menschen Fuß das Gehölz durchschritt; während wiederum vielleicht Sagen und Geschichten von der Gründung des Heimatortes dem Kinde einen Einblick gestatten in die Bedingungen, unter welchen in der Regel Ansiedelungen unserer alten Vorfahren zustande kamen und ihm zeigen, auf welche Weise nach und nach aus dem Dunkel der Wälder einzelne Gehöfte oder ganze Dörfer sich erhoben. Die Hünengräber und heidnischen Opferstätten der Heimat, zu denen die Kinderschar mit dem Lehrer wandert, die zahlreichen Sagen von Stromnixen und Wassermännern, von Otterkönigen, Zwergen und sonstigen Berggeistern, die abergläubischen heimatlichen Gebräuche, von denen die Kleinen so viel und lebhaft zu erzählen wissen, sie vermögen in die altheidnische Zeit, da unsere Vorfahren dem Wodan oder Swantewit dienten, mit derselben Lebendigkeit zu versetzen, mit der eine einsame Waldkapelle, eine altersgraue, verfallene Kirchenruine die Jahrhunderte eines Bonifacius, eines Adalbert von Prag uns vor die Seele führt. Die alten Burgen und Schlösser der Heimat, die wir fleißig besuchen und eingehend besichtigen, geben dem Schüler eine deutliche Vorstellung von der Wohnung und zugleich auch von der Beschäftigung des mittelalterlichen Adels, während die großen zusammenhängenden Feldgrundstücke des benachbarten Rittergutes, neben denen auch jetzt noch die zerstreuten Besitzungen der übrigen Dorfbewohner fast verschwinden, einen Schluß gestatten auf die soziale und wirtschaftliche Lage der Bauern unter der Feudalherrschaft, auf das Verhältnis zwischen dem Burgherrn und seinen leibeigenen Untertanen. Wie eindringlich und beredt erzählen die alten Ringmauern der heimatlichen Stadt mit ihren Schießscharten, Zinnen, Toren, ein alter Turm, ein verfallenes Kloster von vergangenen Tagen, wie anschaulich und lebendig vermögen sie jedermann, auch das Kind, zurückzuführen in die Zeit seiner mittelalterlichen Vorfahren! Gewinnt es doch in solchen heimatlichen Anschauungen

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Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_004.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)