Seite:Was die Heimat erzählt (Störzner) 283.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
127. Der „Rote Turm“ in Kamenz.

Nordwestlich von der Marien- oder Hauptkirche der Stadt Kamenz erhebt sich ein wetterharter Turm, der Rote Turm genannt. Derselbe ist noch einer von den vielen Türmen, welche einst die alte Stadtmauer krönten. Er ist ein Ueberbleibsel des ehemaligen Pulsnitzer Doppeltores, durch welches die Straße nach dem Nachbarstädtchen Pulsnitz einst führte. Aus diesem Grunde wird dieser Turm oftmals auch noch als der Pulsnitzer Turm bezeichnet. – In diesem Turme befand sich vormals ein Gefängnis, die „Harre“ genannt. Hier oben saß jahrelang als Gefangener der unglückliche Caspar Dulichius, der im Jahre 1642 Diakonus in Kamenz war. Derselbe wurde ein Opfer des schrecklichen Aberglaubens jener Zeit. An seinem Lebenswandel hatten die frommen Väter der Stadt allerlei auszusetzen. Der höchstwahrscheinlich geistesirre Dulichius hatte den Rektor der Stadt, den Archidiakonus und mehrere Ratsherren zu Feinden, da er einst gegen diese mit Worten ausfällig gewesen war. Darum wurde nach kurzer Zeit Caspar Dulichius als Pfarrer eines Tages abgesetzt und 1643 aus der Stadt verwiesen. Der Verkannte und Gehaßte verließ Kamenz und soll gegen zehn Jahre in der Welt umhergezogen sein. Da kehrte nach dieser Zeit der Verbannte wieder nach Kamenz zurück und zwar zu seiner Gattin und deren Eltern. Bei diesen fand der Geächtete aber einen sehr unfreundlichen Empfang, wodurch der Heimatlose sehr gereizt wurde. Es kam zu einem heftigen Auftritt. Das war den Feinden des Dulichius Grund genug, gegen den Verhaßten Klage zu erheben. Der unglückliche Prediger wurde bald darauf festgenommen und als gemeingefährlicher Gefangener in den Roten Turm gebracht. Von hier oben aus soll der unschuldig Eingesperrte zuweilen mit Steinen herunter auf die Gasse geworfen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_283.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)